Die biblischen Grundlagen des Gottesdienstes
Bibel und Gottesdienst sind für die evangelische Kirche untrennbar verbunden. Die Bibel ist der Dreh- und Angelpunkt des evangelischen Gottesdienstes und das in mehrfacher Hinsicht. Das möchte ich in drei Schritten erläutern:
- Aus der Bibel: Die biblischen Grundlagen des Gottesdienstes
- In der Bibel: Die Anfänge des christlichen Gottesdienstes
- Mit der Bibel: Die Bibel im evangelischen Gottesdienst
Der christliche Gottesdienst ist aus der Bibel, genauer gesagt aus dem sogenannten alten Testament, der jüdischen Bibel, entstanden. Jesus, seine Jünger und die ersten christlichen Gemeinden feierten Gottesdienst nicht im luftleeren Raum. Sie waren Juden und nahmen am Tempelgottesdienst in Jerusalem und an den Sabbathfeiern in den Synagogen teil. Sie lasen die Schriften der jüdischen Bibel, die wir „Altes Testament“ nennen.
Im Tempel in Jerusalem wurde zu Jesu Zeit schon seit fast eintausend Jahren Gottesdienst gefeiert in Form von Opferritualen. Diese Rituale sind in der Bibel im Alten Testament detailliert beschrieben. Der erste Tempel in Jerusalem wurde von König Salomo im 10. Jahrhundert vor Christus gebaut und 587 vor Christus von den Babyloniern unter König Nebukadnezar zerstört. Um 515 vor Christus wurde dann unter dem persischen Statthalter Serubbabel der zweite Tempel gebaut. Erst kurz vor Jesu Geburt hat König Herodes diesen Tempel erneuert und großzügig ausgebaut. In diesem Tempel spielen die Geschichten aus den Evangelien in unserem Neuen Testament.
Jesus und seinen Jüngern war also der Tempelgottesdienst, wie er im Alten Testament beschrieben wird, nicht nur bekannt. Sie lebten mit dieser Tradition und nahmen teil daran. Der zweite Tempel wurde im Jahr 70 nach Christus durch die Römer zerstört. Dies war ein einschneidendes Datum für die Juden, aber eben auch für die ersten Christen, die zu dieser Zeit noch als Sekte des Judentums galten.
Heute kennen wir Synagogen als „die Kirche der Juden“. Eine Synagoge ist das Zentrum für jüdische Gemeinden überall auf der Welt. Erste Synagogen entstanden wahrscheinlich in der Zeit nach der Zerstörung des ersten Tempels im 6. Jahrhundert vor Christus. In den Evangelien wird vielfach berichtet, wie Jesus am Gottesdienst in einer Synagoge teilnimmt. Schon zu Beginn seiner Wirksamkeit wird von Matthäus in Kapitel 4,23 gesagt: Jesus „zog umher in ganz Galiläa, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk.“ Also gehörten schon für Jesus Bibel und Gottesdienst zusammen.
In Lukas 4,16 erfahren wir auch etwas darüber, wie ein Gottesdienst in der Synagoge ablief. Jesus wird gebeten, einen Text aus der jüdischen Bibel vorzulesen. Anschließend predigt er darüber. Hier sehen wir schon bei Jesus einen zentralen Aspekt der Bibel im evangelischen Gottesdienst: Predigttext und die Predigt darüber. Damit kommen wir zu den Anfängen des christlichen Gottesdienstes.
Serie
Dieser Beitrag gehört zur Serie "Wie geht evangelischer Gottesdienst".
Lebendiges Kirchenjahr
Dieser Beitrag steht im Themenbereich Lebendiges Kirchenjahr.
Kirchenjahr
Mit den Themen Bibel im Kirchenjahr und Liturgisches Kirchenjahr bildet Lebendiges Kirchenjahr den Abschnitt Kirchenjahr.
Spiritualität
Kirchenjahr gehört mit Kirche und Bibel zum Bereich Spiritualität.
Bibel und Gottesdienst im Neuen Testament
Über die Ursprünge des christlichen Gottesdienstes erfahren wir einiges in der Bibel, genauer gesagt im Neuen Testament.
Das Alte Testament war also schon die Grundlage des Gottesdienstes der ersten Christen und der Synagogengottesdienst diente als Ansatzpunkt. Der Opfergottesdienst im Tempel war für die Christen dagegen nicht so zentral, da durch Jesu Tod am Kreuz – der teilweise als einmaliges Opfer verstanden wurde (zum Beispiel Hebräer 7,27) – alle anderen Opfer nicht mehr nötig sind. Menschenopfer waren schon im altjüdischen Tempeldienst verboten, nun gab es für die christlichen Gemeinden auch keine Tieropfer oder Speiseopfer mehr.
Die ersten Juden, die an Jesus glaubten, nahmen noch am Gottesdienst in den Synagogen teil. Sehr bald aber gab es erste Konflikte zwischen den Juden und den ersten Christen und Christinnen. So kam es schließlich zur Trennung. Von Anfang an haben die Christen außerdem Gottesdienste in den privaten Häusern gefeiert. Zentral war dabei immer das heute so genannte Abendmahl, das damals wohl immer als richtiges gemeinsames Essen gefeiert wurde. Auch die Taufe war von Beginn an ein gottesdienstliches Ritual in christlichen Gemeinden. Wie oben bereits erwähnt gehörte auch die Verlesung alttestamentlicher Texte und die Auslegung zum Grundbestand des christlichen Gottesdienstes.
Die Apostel – vor allem Paulus und Petrus – schrieben viele Briefe an die neuen Gemeinden, von denen einige im Neuen Testament überliefert sind. Diese Briefe wurden in der Empfängergemeinde im Gottesdienst verlesen. Sehr bald wurden Abschriften gemacht und an die umliegenden Gemeinden verteilt. So entstanden erste Sammlungen „heiliger Schriften“. Aus der Verlesung dieser Briefe im Gottesdienst wurden – neben der Lesung von Abschnitten aus dem Alten Testament – die Bibellesungen im Gottesdienst. Später kamen dann auch noch Lesungen aus den Evangelien über das Leben Jesu dazu.
Im Neuen Testament finden wir verschiedene Hinweise auf die gottesdienstliche Feier, die darüber hinausgehen. So verlegten die Christen den Gottesdienst vom Sabbath (unser heutiger Samstag) auf den Sonntag (damals der erste Tag der Woche), weil der Gottesdienst im Grunde immer ein Feier der Auferstehung Jesu ist. Weitere Bestandteile werden zum Beispiel in 1. Korinther 14,26 genannt: „Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!“ Lieder (hier „Psalm“) gehörten auch dazu.
Allerdings gibt es in der Bibel keine detaillierte Beschreibung des Ablaufs eines Gottesdienstes. Sicher war dieser auch nicht von Anfang an so genau festgelegt. Als heidenchristliche Gemeinden entstanden, also Gemeinden, in denen Christen und Christinnen in der Mehrzahl waren, die keine Juden gewesen sind, änderte sich noch einmal einiges. Die erste konkretere Beschreibung einer Liturgie gibt uns Justin in seiner Schrift „Apologie“ um das Jahr 150 nach Christus. Zu dieser Zeit war aus dem gemeinsamen Essen schon das liturgisch gestaltete Abendmahl geworden.
Im Laufe der Jahrhunderte bis zur Reformationszeit gestaltete sich der christliche Gottesdienst immer weiter aus. Es entstanden verschiedene Richtungen, die vor allem unterschiedliche Ausprägungen im Westen und im Osten des römischen Reiches betrafen. Immer mehr Elemente kamen hinzu, die musikalische Gestaltung wurde intensiviert und alle Teile wurden mehr und mehr ausgeformt.
Die Bibel im evangelischen Gottesdienst
Da es bei dieser Entwicklung auch einige „Verirrungen“ gegeben hat, hat Martin Luther die Reform des Gottesdienstes wieder neu an der Bibel ausgerichtet. Für ihn gehörten Bibel und Gottesdienst also auch so zusammen, dass die Bibel die Norm für die gottesdienstliche Feier vorgibt. Was der Bibel widerspricht wurde gestrichen. Die Lesungen aus der Bibel und vor allem die Auslegung der Texte in der Predigt bekamen wieder eine zentrale Stelle.
Deshalb können wir sagen, dass unser heutiger evangelischer Gottesdienst mit der Bibel lebt. Biblische Texte und Anklänge daran ziehen sich durch den ganzen Gottesdienst. Gehen wir doch mal die wichtigsten Punkte einzeln durch. Hier gebe ich nur eine Übersicht, aber im Kapitel „die Elemente des Evangelischen Gottesdienstes“ gehe ich detailliert darauf ein.
Bibeltexte als Lesungen
Während des Gottesdienstes werden ausgewählte Bibeltexte vorgelesen. Diese Lesungen sind in der Perikopenordnung festgelegt. Es gibt sechs Lesereihen, die jedes Jahr wechseln. Das heißt, nach sechs Jahren wurde jede Reihe einmal gelesen und es geht von vorne los. Die Lesungen sind in drei Kategorien aufgeteilt:
- Lesung aus dem Alten Testament
- Evangelienlesung
- Epistellesung (das sind die Briefe der Apostel)
Wenn es in einem Gottesdienst drei Lesungen gibt, dann wird ein Text aus jeder Kategorie ausgewählt. Dazu kommt dann noch der Predigttext, der jeweils für eines der sechs Lesejahre festgelegt ist. Außerdem wird in fast jedem Gottesdienst ein Psalm gelesen. An dieser Stelle sieht man besonders deutlich den Zusammenhang von Bibel und Gottesdienst.
Predigt
Bibel und Gottesdienst verbinden sich klar auch in der Predigt. Eine der Hauptkomponenten die sich auf die Bibel im evangelischen Gottesdienst beziehen, ist die Predigt. Fast immer ist ein Bibeltext die Grundlage der Auslegung in der Predigt. Ausnahmen gibt es eigentlich nur, wenn sich der Prediger, die Predigerin dafür entscheidet, ein spezielles Thema zu behandeln. Aber auch in solchen Predigten gibt es normalerweise einen Bezug zu biblischen Texten. Martin Luther und die anderen Reformatoren haben großen Wert auf die Predigt gelegt. Das war eine große Veränderung, da die Predigt im Mittelalter fast komplett aus den Gottesdiensten verschwunden war.
Liturgische Elemente
Die „kleineren“ Elemente der Liturgie, wie zum Beispiel Antwortgesänge, sind nahezu ausschließlich Texte aus der Bibel. Dazu gehört auch das schlichte „Amen“, das als Antwort auf Gebete und Lesungen gesprochen oder gesungen wird. Das Amen haben wir aus der Bibel! Weitere Beispiele sind das Kyrie (Herr, erbarme dich), des Gloria (Ehre sei Gott in der Höhe), das Vaterunser, der Schlusssegen (wenn er als Aaronitischer Segen gesprochen wird).
Lieder
Nicht so offensichtlich mag sein, dass auch viele Kirchenlieder auf biblischen Texten basieren oder sogar direkte Vertonungen von Bibeltexten sind. So kommt die Bibel im evangelischen Gottesdienst auch noch auf eine ganz anderes Weise ins Spiel. Die Gemeinde singt diese Bibeltexte, um Lobpreis und Anbetung auszudrücken, aber auch um die biblische Botschaft über die Musik noch besser im Herzen der Gläubigen zu verankern.
Gebete
Gebete, wie das Eingangsgebet oder das Fürbittengebet, können zwar frei formuliert werden, beziehen sich aber oft auch auf biblische Texte oder Motive. Das Vaterunser ist uns schon aus den Evangelien von Jesus überliefert. Das Amen ist aus der Bibel und auch viele Gebetsrufe. Und natürlich ist auch jede Fürbitte – also eine Bitte an Gott für andere Menschen – ein Ausdruck der Nächstenliebe, die Jesus uns ans Herz legt.
Sakramente
Wie kommt es, dass es in der katholischen Kirche sieben, in der evangelischen Kirche aber – so die übliche Zählung – nur zwei Sakramente gibt? Auch das liegt an der theologischen Entscheidung der Reformatoren für die Bibel als entscheidendes Kriterium für die evangelische Kirche. Martin Luther hat nur die Sakramente gelten lassen, die ausdrücklich von Jesus in den Evangelien eingesetzt wurden. Das sind die Taufe und das Abendmahl.
Luther zählte, allerdings mit Zweifeln, auch die Beichte dazu, weil Jesus gesagt hat „tut Buße“. Dies kann als Einsetzung der Beichte verstanden werden. Allerdings ist die Beichte nicht mit sichtbaren Zeichen verbunden. Das ist ein Unterschied zur Taufe (Wasser) und Abendmahl (Brot und Wein). Trotzdem wird manchmal die Beichte als drittes evangelisches Sakrament angesehen.
Kirchenjahr
Das Kirchenjahr prägt die Gestaltung der Gottesdienste an den Sonn- und Festtagen im Jahr. Dadurch wird der Gebrauch der Bibel im evangelischen Gottesdienst im Laufe des Kirchenjahres bestimmt. Biblische Geschichten und Gedanken sind die Grundlage fast aller Sonntag und Festtage im evangelischen Kirchenjahr. Beispiele sind Weihnachten (die Geburtsgeschichten Jesu) und Ostern (die biblische Geschichte von der Auferstehung Jesu). Auch wenn es zu einigen Themen von Sonn- und Festtagen keine biblische Geschichte gibt, so sind indirekt Gedanken aus der Bibel die Vorlage. So zum Beispiel an Trinitatis. Dieses „Fest der Dreieinigkeit Gottes“ bezieht sich auf Aussagen in der Bibel über Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Es gibt nur wenige Ausnahmen im Laufe des Kirchenjahres, die sich nicht direkt auf die Bibel berufen. Dazu gehören der Reformationstag (Bezug: der Thesenanschlag Martin Luthers 1517), der Martinstag (Bezug: der Heilige Martin), der Nikolaustag (Bezug: der Heilige Nikolaus) und Altjahrsabend und Neujahrstag (eigentlich „weltliche“ Feiertage, die aber kirchlich begleitet werden).
Zum Thema „Bibel im Kirchenjahr“ siehe auch meinen Blogbeitrag dazu: Die Bibel im Kirchenjahr.
Für den evangelischen Glauben bilden also Bibel und Gottesdienst auf vielfältige Weise eine Einheit. Die Bibel ist Herkunft und Norm für den Gottesdienst und bildet seine Mitte.
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe