Die Welt – über den Gottesdienst hinaus

Evangelischer Gottesdienst geschieht nicht im luftleeren Raum. Auch wenn wir besondere Gebäude – die Kirche – und besondere Zeiten dafür haben, findet Gottesdienst doch mitten in der Welt statt. Denke auch an den Bezug zu „Zeit“ (siehe: Zeit und Gottesdienst). Unser ganzes Leben soll ein Gottesdienst sein. Deshalb soll auch die ganze Fülle des Lebens und unserer Welt im Gottesdienst seinen Platz haben. Das geschieht natürlich in den Gebeten und sollte auch in der Predigt vorkommen. Wir bringen im Gebet alle Freude und Sorge vor Gott. Wir bedenken in der Predigt die Bedeutung der biblischen Botschaft für unser Leben heute.

Besonders eindrücklich ist mir die Gliederung der Aufgaben der Kirche, wie sie vor allem in der evangelischen Michaelsbruderschaft ausgedrückt werden: Martyria (Zeugnis) – Leiturgia (Gottesdienst) – Diakonia (tätige Liebe). Wilhelm Stählin sagt in seiner Schrift „Bruderschaft“ von 1940, dass mit diesen drei Bereichen die „Gesamtheit alles kirchlichen Lebens und Handelns“ dargestellt werden kann. (W. Stählin, Bruderschaft, Kassel 1940, Seite 91)

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Dieser Beitrag gehört zur Serie "Wie geht evangelischer Gottesdienst".

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Lebendiges Kirchenjahr

Dieser Beitrag steht im Themenbereich Lebendiges Kirchenjahr.

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Kirchenjahr
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Spiritualität

Kirchenjahr gehört mit Kirche und Bibel zum Bereich Spiritualität.

Martyria – der Glaube

Martyria bedeutet übersetzt „Zeugnis“. Wir bringen den Begriff üblicherweise mit Märtyrern in Verbindung, also mit Menschen, die für ihre religiöse Überzeugung gestorben sind. Heute hat das Wort oft einen negativen Klang, weil damit Terroristen, Selbstmordattentäter bezeichnet werden. Die Märtyrer, die im Christentum zu Heiligen geworden sind, waren Menschen, die am Zeugnis ihres Glaubens auch unter Lebensgefahr festgehalten haben.

Häufig wird Zeugnis des Glaubens mit Mission und Bekehrung gleichgesetzt. Das ist hier aber nicht gemeint. Es geht mir vielmehr darum, dass wir unser Leben aus dem Glauben heraus führen. Das kann natürlich auch beinhalten, mit anderen über unseren Glauben zu sprechen. Viel wichtiger ist meiner Meinung nach, dass wir im Alltag das umsetzen, was wir glauben. Ich benutze das Wort Martyria hier also in einem weiteren Sinn. Zeugnis für den Glauben geben wir Christinnen und Christen schon allein dadurch, wenn wir als solche sichtbar werden. Das geschieht zum Beispiel schon durch die Teilnahme am Gottesdienst und an anderen kirchlichen Veranstaltungen. Dadurch leben wir die Gemeinschaft der Gläubigen auch über den Gottesdienst hinaus im Alltag.

Eine Berührung der Martyria gibt es auch mit der Diakonia, wenn wir in unserem persönlichen Leben die Nächstenliebe aktiv praktizieren. Es ist Diakonia weil wir uns um andere Menschen kümmern. Es ist Martyria, weil wir das aus dem Glauben heraus tun.

Leiturgia – der Gottesdienst

Leiturgia heißt übersetzt in etwa „Dienst“. In unserem Zusammenhang ist es die Bezeichnung für den Gottesdienst. Viele Menschen, die einen Gottesdienst besuchen, meinen, dass Liturgie nur diese seltsamen kleinen, oft gesungenen, Stückchen zwischen dem eigentlichen Gottesdienst sind. Das sind liturgische Stücke wie Kyrie, Gloria, Halleluja und Amen. Das wirklich wichtige am Gottesdienst seinen doch Gebete und Predigt. Mir ist wichtig, zu betonen, dass alle diese Stücke zur Liturgie gehören – auch die Predigt! Der ganze Gottesdienst ist Liturgie.

Der Dienst für Gott, Gottes Dienst an uns und unser Dienst füreinander bilden zusammen die Leiturgia. Es ist eine Gemeinschaft im Gottesdienst, die mich selbst, alle anderen im Gottesdienst und Gott umfasst. Diese Gemeinschaft im Dienst, die wir im Gottesdienst an einem besonderen Ort und zu einer besonderen Zeit und in einer besonderen Art und Weise feiern, bildet das Fundament für diesen Dienst mitten im Alltag des Lebens und der Welt.

Im Gottesdienst kommt die Welt an verschiedenen Punkte deutlich in den Blick. Natürlich ist das im Gebet der Fall. Das ist den meisten wohl noch klar und wird als zum Gottesdienst gehörig betrachtet. Wenn wir in den Fürbitten nicht nur für uns, sondern auch für unsere Nächsten und für die aktuellen Dinge, die die Welt bewegen, vor Gott bitten, dann ist das ganze Leben und die Welt im Fokus.

Ein anderer Teil der Liturgie wird häufig nicht als ein Teil des Gottesdienstes empfunden – Abkündigungen und Kollekte. Viele meinen, das würde die Feierlichkeit und Andacht des Gottesdienstes stören. Wenn es um die profanen Dinge geht, die in den Abkündigungen verlesen werden, und erst recht, wenn es um das leidige Geld geht, das in der Kollekte eingesammelt werden soll, dann passt das wohl nicht zum Gottesdienst.

Betrachten wir aber den Gottesdienst als Teil der Leiturgia, also des unseres Dienstes und Gottes Dienstes an uns Menschen, dann sieht das schon ganz anders aus. Dieser Dienst geht weit über den Gottesdienst hinaus mitten in die Welt. Genau das kommt aber zur Sprache, wenn in den Abkündigungen eingeladen wird zu Veranstaltungen im Laufe der Woche oder Informationen eben zur Kollekte gegeben werden. Dieses Geld ist ja immer für kirchliche und viel mehr noch für diakonische und soziale Zwecke bestimmt. Also für Aufgaben, die die Kirche und wir Christinnen und Christen in der Welt übernehmen als Teil der Nächstenliebe.

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Diakonia – die ganze Welt

Wenn wir das Wort Diakonia oder Diakonie hören, dann denken wir normalerweise an das Diakonische Werk. Das Diakonische Werk – oder kurz gesagt: Die Diakonie – ist das Hilfswerk der evangelischen Kirche, das das soziale Engagement und die Nächstenliebe in der Welt organisiert. Dazu gehört auch Brot für die Welt, die Entwicklungs- und Katastrophenhilfe der evangelischen Kirche (in der katholischen Kirche heißen die parallelen Werke übrigens Caritas und Misereor).

Das Wort Diakonia bedeutet auch „Dienst“. Hier geht es aber vor allem um den Dienst der NächstenLiebe, also um das, was oft mit „tätiger Liebe aus dem Glauben“ beschrieben wird. Geht der Blick in der Leiturgia vor allem auf Gott, dann geht er in der Diakonia vor allem auf den Nächsten. Glauben ohne die Zuwendung zu anderen, vor allem bedürftigen, Menschen, ist kein rechter Glaube. Jesus hat gesagt: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan (Matthäus 25,40).

Auch hier sieht man wieder, dass alle drei Bereiche nicht streng voneinander abzugrenzen sind. Natürlich ist ein Gottesdienst auch Zeugnis für den Glauben, genauso wie die Sorge für andere Menschen – im persönlichen Bereich, aber auch in der kirchlichen Diakonie. Wenn wir von Gottesdienst mitten im Leben sprechen, dann sind die tätige Liebe und das gelebte Zeugnis des Glaubens doch Bestandteile davon. Und wie oben gesagt, gehört der Blick in die Welt und der Zusammenhang des täglichen Lebens und der Diakonie auch in den Gottesdienst.

Wenn wir also über den evangelischen Gottesdienst nachdenken, dann müssen wir diese drei Bereich immer mitdenken, nicht nur die Leiturgia. Der Blick in die Welt und die Fragen, wie wir als Glaubende in der Welt leben, gehört mitten in den Gottesdienst in all diesen Dimensionen.

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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