Achtsamkeit und Gewohnheit im Kirchenjahr

Im dritten Teil meiner Serie zu Rituale im Kirchenjahr geht es nun um Achtsamkeit und Gewohnheit. Im letzten Beitrag habe ich behauptet, dass beides zum Ritual gehört: Es muss bewusst sein, was der Inhalt ist und warum es begangen wird (Achtsamkeit), es darf aber auch unbewusst sein, weil das entlastet und vereinfacht (Gewohnheit).

Das klingt doch wie ein Widerspruch. Ist es auch einerseits, aber andererseits ist das für mich eine der größten Stärken der Rituale des Kirchenjahres. Es ist einer der Gründe, warum das Kirchenjahr in unserem alltäglichen Leben so eine positive Macht entfalten kann, wenn wir es nur zulassen.

Das möchte ich in diesem Beitrag genauer erläutern. Es ist der dritte Teil einer vierteiligen Reihe über Rituale im Kirchenjahr:

Themen der Artikelserie

1. Rituale im Kirchenjahr
2. Wenn Rituale zu Routinen werden
3. Achtsamkeit und Gewohnheit
4. Das Kirchenjahr im Alltag

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Lebendiges Kirchenjahr

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Kirchenjahr
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Spiritualität

Kirchenjahr gehört mit Kirche und Bibel zum Bereich Spiritualität.

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Übersicht

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Gewohnheit im Kirchenjahr

Gewohnheit gehört zu den Ritualen des Kirchenjahres dazu, auch wenn das auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheint. Die Rituale sollen ja nicht zur bloßen Routine werden. Gewohnheit vertritt sozusagen die Aspekte Wiederholung und Tradition eines Rituals (siehe Teil 1). Es ist wohl ohne Weiteres nachvollziehbar, dass Traditionen einer Gesellschaft, eines Vereins, einer Familie oder auch kirchliche Traditionen nur dann für mich zu einer Gewohnheit werden, wenn ich regelmäßig daran teilnehme.

Damit wird die Gewohnheit zu einer wichtigen Voraussetzung auch für das bewusste Begehen der Rituale und Bräuche im Kirchenjahr. Durch die Wiederholung und die Teilnahme lerne ich den Ablauf kennen und verinnerliche die dazugehörigen Punkte. Ich spüre sozusagen die Bedeutung im Vollzug. Dadurch geht das Ritual tiefer und kann im Alltag ohne große Anstrengung präsent werden.

Das Trotzdem der Gewohnheit

Gewohnheit hilft, etwas durchzuziehen, auch wenn einem nicht danach ist. Mancher meint vielleicht, dass gerade das gegen eine Gewohnheit spricht. Das mag manchmal richtig sein und bei schlechten Angewohnheiten ist es gut, das Muster zu durchbrechen. Es gibt aber auch die positive Seite. Wenn ich gesünder leben möchte, dann ist es gut, wenn ich es mir zur Gewohnheit mache, regelmäßig Sport zu machen. Wenn es dann eine Gewohnheit ist, hilft es mir sehr, weil ich sozusagen automatisch zum Sport gehe, auch wenn ich mal keine Lust habe.

Für mich ist es mit den Ritualen des Kirchenjahres genauso. Ich weiß, dass sie mir gut tun. Deshalb möchte ich versuchen, sie zu einer Gewohnheit zu machen, die ich auch dann nicht unterbreche, wenn mir mal nicht danach ist.

Ein Leben ohne Feste ist wie eine lange Wanderung ohne Einkehr. Demokrit

Gewohnheit macht es einfacher

Gewohnheit macht eine Handlung einfacher, weil nicht im Detail entschieden werden muss, wie es abläuft. Wir haben nicht immer die Kraft dazu, jeden Tag das Rad neu zu erfinden. Auch wenn Abwechslung manchmal gut tut, so ist es doch auch wohltuend, nicht immer wieder alles bewusst neu zu machen. Immer wieder der gleiche Ablauf kann sehr entlastend sein. Dadurch reduziert die Gewohnheit den Aufwand.

Auch das gilt meiner Meinung nach für das Kirchenjahr. Es strukturiert die Zeit des Tages, der Woche, des Jahres in einer guten und hilfreichen Weise. Es gibt mir Zeiten der Ruhe und auch des Nachdenkens. Mit der Wiederholung der Gewohnheit macht es mir leichter, den Jahreskreis zu bewältigen.

Gewohnheit integriert die Handlung in den Alltag, weil es einfach dazu gehört. Das ist für mich einer der wichtigsten Gründe, die für die regelmäßige, teilweise unbewusste Wiederholung spricht. Sie hilft auch gegen das Vergessen. Ich werde unbewusst daran erinnert, dass es gut für mich ist, täglich Sport zu machen. Ebenso geht es dann auch mit den Ritualen des Kirchenjahres. Ich bin froh, dass sie sich immer wieder wiederholen, weil sie so immer wieder in meinem Leben gegenwärtig und lebendig werden.

Ein persönliches Beispiel

In der Kirchengemeinde, zu der ich als Jugendlicher gehörte, gab es bei vielen Gläubigen die Meinung, dass es unchristlich sei, wenn beim Beten die Gedanken nicht zu 100% bei der Sache waren. Schweiften die Gedanken während des Gebets ab, dann galt das als Sünde. Hört sich extrem an, war aber (leider) so. Ganz besonders problematisch war das bei auswendig gelernten Gebeten, wie dem Vaterunser. Ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn im Gottesdienst das Vaterunser gesprochen wurde und meine Gedanken nicht völlig dabei waren.

Es war für mich wie eine Befreiung, als ich eines Tages auf den Gedanken stieß, dass die Gewohnheit und das “Auswendigkönnen” des Vaterunsers ein Geschenk sein können. Ich kannte ja den Inhalt dieses Gebets. Ich wollte es beten. Ich wusste, was ich inhaltlich damit aussagte. Gerade deshalb konnte ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. Es war im Gegenteil sogar ein intensiveres Beten, weil ich diese Gedanken in Verbindung mit dem gewohnten Text des Vaterunsers sozusagen “im Angesicht Gottes” dachte.

In diesem Sinn ist die Gewohnheit und Tradition in den Ritualen des Kirchenjahres sogar ein Segen!

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Achtsamkeit im Kirchenjahr

Im Unterschied dazu vertritt Achtsamkeit die Aspekte Transzendenz, Kommunikation und Identität des Rituals (siehe Teil 1 dieser Serie). Das Wissen um die Inhalte der Rituale und Bräuche des Kirchenjahres ist eine Voraussetzung für diese Achtsamkeit. Erst, wenn ich weiß, was ich/wir da tun, kann ich bewusst daran teilnehmen. Auch kann ich erst dadurch die hilfreichen Inhalte dieser Traditionen wirklich in meinem Alltag erleben.

Deshalb ist es mir wichtig, hier auf meinem Blog auch das Wissen über die Inhalte und Bedeutung des Kirchenjahres zu beschreiben. Es geht mir darum, die Hintergründe zu erklären, aber auch die aktuelle Relevanz für unser heutiges Leben in der modernen und digitalisierten Welt zu zeigen. Wenn wir die alten Weisheiten des Kirchenjahres für uns heute lebendig machen wollen, dann ist dieses Hintergrundwissen sehr hilfreich.

Denke immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt: Heute. Hier. Jetzt. Leo Tolstoi

Doch bei Achtsamkeit geht es nicht nur um Wissen. Achtsamkeit ist viel mehr. Zum einen gehört auch Bewusstheit dazu. Ich bin mir bewusst, was die Rituale des Kirchenjahres im Jahreslauf bedeuten und ich will, dass sie zu meinem Leben dazugehören. Ich glaube daran, dass sie mir in meinem Alltag helfen und möchte sie deshalb bewusst mit einbeziehen.

Das Wichtigste bei der Achtsamkeit in diesem Zusammenhang ist mir aber, dass sie mir hilft, heute und jetzt zu leben. Bei dem, was gerade dran ist, bin ich mit ganzem Herzen und Verstand dabei. Das gilt eben auch für das Kirchenjahr. Mein Paradebeispiel ist immer, dass nicht schon im Oktober oder November die Adventszeit beginnt. Ich bin mit meiner Achtsamkeit in der Kirchenjahreszeit, die jetzt dran ist und nicht schon voraus oder noch hinterher.

So ist Achtsamkeit eine zentrale Möglichkeit, die Rituale des Kirchenjahres wieder lebendig erleben zu können.

Achtsamkeit und Gewohnheit im Kirchenjahr

Es scheint also wie ein Widerspruch. Einerseits durch die Gewohnheit quasi in eine Art Routine zu kommen. Sich in das Ritual hineinfallen lassen, ohne immer alles bewusst nachzuvollziehen. Einfach zu wissen, dass es läuft, wie es immer schon lief und wie es laufen soll. Andererseits aber bewusst sich Gedanken zu machen, was wir da eigentlich tun und verstehen zu wollen, was es bedeutet. Also achtsam dabei zu sein, hier und jetzt zu leben und das Ritual zu begehen.

So gehört beides zu den Ritualen des Kirchenjahres. Achtsamkeit, weil sie vertieft und Gewohnheit, weil sie entlastet. Achtsamkeit und Gewohnheit im Kirchenjahr sind wie die beiden Brennpunkte einer Ellipse, um die die Rituale des Kirchenjahres kreisen. Das ist dann nicht statisch, sondern lebendig. Es ist keine bloße Routine, aber es wird zu einer geliebten Gewohnheit. Es ist kein reiner intellektueller Akt, aber ich weiß schon, was es bedeutet.

Die Rituale des Kirchenjahres pendelt sozusagen zwischen Achtsamkeit und Gewohnheit. Je nach dem, was ich gerade brauche. Weil ich durch die Wiederholung an den Ablauf gewöhnt bin, kann ich mich auch mal hineinfallen lassen, wenn ich gerade nicht die Kraft für die Achtsamkeit habe. Weil ich die Tradition kenne, weiß ich, dass ich grundsätzlich zustimme, auch wenn ich beim Vaterunser mit den Gedanken mal völlig abschweife.

Damit haben wir jetzt einen Rahmen, in dem wir die Rituale und Bräuche des Kirchenjahres sehen können. Im nächsten Teile dieser Beitragsserie geht es dann um die konkrete Umsetzung. Wie kann das alles in unserem Alltag Gestalt annehmen?

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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