Predigt 5. Sonntag nach Trinitatis 1. Mose 12,1-4a
Predigt 5. Sonntag nach Trinitatis 1. Mose 12,1-4a von Pfr. Uwe Hermann, Perikopenreihe IV, Thema: Abraham – gehen und segnen. Gehalten im Gottesdienst am 17.07.2022 in Sechshelden.
Sonn-/Feiertag: 5. Sonntag nach Trinitatis 1. Mose 12,1-4a
Perikopenreihe: IV
Predigttext 1. Mose 12,1–4a
1 Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.
2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.
3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.
4 Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.
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Predigt 5. Sonntag nach Trinitatis 1. Mose 12,1-4a
Gehen
Liebe Gemeinde,
am liebsten würde ich jetzt fragen, wer von Euch über 70 Jahre alt ist, aber ich halte mich zurück. Sowas macht man ja nicht. Trotzdem möchte ich die älteren unter uns bitten, einmal zu überlegen, ob sie noch einmal ganz von vorne anfangen würden. Stellt Euch das vor: Noch einmal umziehen. Nicht in das Altersheim oder zu den Kindern, sondern weit weg, tausende von Kilometern. Dahin, wo Euch niemand kennt, wo Ihr fremd seid. Ein neues Leben anfangen – mit 75? Abraham hat es getan. Er hat noch einmal einen neuen Lebensabschnitt begonnen.
Neu anfangen
Abraham verlässt seine Verwandtschaft, sein Zuhause. Er wird heimatlos und schutzlos. Er wird etwas, das wir heute Migranten nennen. Menschen, die ihre Heimat verlassen – aus welchen Gründen auch immer – und in einem fremden Land neu anfangen wollen oder müssen. Später muss Abraham auch noch auf die Flucht gehen – übrigens nicht weil es Krieg gibt, sondern aus wirtschaftlichen Gründen.
Er tut das alles, auf einen Befehl Gottes hin. Das ist schier unglaublich. Gott sagt ihm: „Geh!“ Und Abraham geht. Er lässt alles hinter sich und weiß, er ist nun allein auf Gottes Beistand angewiesen. Sonst gibt es keine Sicherheiten mehr.
Keine Angst, ich sage jetzt nicht, das wir alle auswandern sollen, aber diese Geschichte Abrahams kann uns helfen, unser eigenes Leben in einem neuen Licht zu sehen.
Neue Anfänge brauchen wir in unserem Leben immer und immer wieder. Es sind nicht immer die großen Aufbrüche wie bei Abraham. Meist sind es kleinere Schritte, die aber auch Mut brauchen und neue Hoffnung geben können.
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Immer wieder neu
Manchmal sind wir auch so sehr in unser geschäftiges Leben eingebunden, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Wir verrennen uns in eine Sackgasse und finden den Weg nicht mehr heraus. Dann brauchen wir jemanden, der zu uns sagt: „Geh!“
Das gilt auch für junge Menschen. Heute ist es nicht mehr wie früher: Bei einer Firma in die Lehre gegangen und bis zur Rente bei der gleichen Firma geblieben. Heute ist es normal, dass man sich auch beruflich immer wieder neu aufstellen muss.
Abraham kann uns zeigen, dass das nichts Schlimmes ist. Es ist verheißungsvoll, neu anfangen zu können. Es ist eine große Chance – und das in jedem Alter!
Mir ist auch ganz wichtig, dass wir auch anderen Menschen die Gelegenheit geben, neu anzufangen. Das gilt für Fremde und Flüchtlinge in unserem Land. Das gilt aber auch für Menschen, die sich etwas zu schulden kommen ließen. Wir Christen leben aus der Vergebung. Dieses Wort ist der Inbegriff des Neuanfangs! Für uns und für jeden anderen Menschen!
Segnen
Das wunderbare an Gottes Befehl „Geh!“ ist, dass er noch einen weiteren Satz anfügt: „Ich will dich segnen“.
Zuspruch und Anspruch
Mir ist gerade in der letzten Zeit wieder neu wichtig geworden, dass es bei Gottes Handeln und Reden in der Bibel immer zwei Seiten gibt: Zuspruch und Anspruch. Ja, Gott stellt auch Ansprüche an uns. Er will, dass wir uns an seine Gebote und Richtlinien halten. Er will, dass wir unsere Nächsten lieben und uns an Gottes Wege halten. Doch diese Ansprüche stellt Gott nicht absolut. Er ist nicht der unbarmherzige Richter, der sich dann alles anschaut, was wir in unserem Leben geschafft oder nicht geschafft haben.
Die Grundlage für die Ansprüche, die Gott an uns stellt, ist immer sein Zuspruch. Er selbst will uns ermöglichen, ihm zu folgen. Er selbst ist immer mit seinem Segen mit dabei. Er selbst gibt Kraft und Hoffnung. Er selbst drückt alle Augen zu, wenn es einmal nicht gelingt. So stellt er an Abraham den Anspruch: „Geh!“, aber schon der erste Schritt auf dem neuen Weg Abrahams ist umfangen von Gottes Liebe in seinem Segen. So lässt es sich gehen und leben!
Die Kapitel 3-11 im ersten Mosebuch lesen sich fast wie eine Geschichte von Fluch und Strafe (Kainsmord, Sintflut, Turmbau…). Sie wirken, als ob eine Finsternis über der Menschheit liegt, die Gott gerade so eben noch im Zaum hält. Doch jetzt beginnt die Geschichte des Segens. Jetzt will Gott es wieder hell machen. Dieser Segen gilt zunächst Abraham und den Seinen, dann dem Volk Israel und schließlich allen Menschen.
Was ist Segen?
Was nun bedeutet das, ein Segen zu sein in einer Welt, in der es nicht gut läuft? Segen ist ein Wort mit schier unendlichen Bedeutungen. Grob gesagt, geht es immer darum, etwas Lebenspendendes zu geben. Segnen ist Gottes Lieblingsbeschäftigung. Er segnet Fische und Vieh – und sie werden fruchtbar. Er segnet den Acker – und er trägt reichlich Frucht. Er segnet den Verstand – und der schreibt kluge Abhandlungen. Er segnet das Herz – und es kann Liebe und Erbarmen empfinden. Er segnet den Mund – und der redet Gutes, stiftet Frieden in verzwickten Lagen oder tröstet den Untröstlichen. Er segnet Begegnungen – und schon … [finden Menschen in Frieden und Freude zusammen]. Er segnet die Hand – und sie kann großartige Dinge bauen, Häuser und Kunststücke, Möbel und Maschinen. Ich hätte fast auch gesagt: Er segnet den Fuß – und der kann den Ball [ins Tor]…
aus: GreifBar plus 410. In: HERBST, M. (Hrsg.): Michael Herbst Predigtarchiv (2002–2020). Greifswald : Michael Herbst, 2014, S. Gen 12,1–1 Petr 3,15 (in eckigen Klammern durch mich geändert)
Diese Aufzählung können wir beliebig fortsetzen. Auch wenn wir selbst meinen, wir wären doch nichts besonderes und all unsere Fähigkeiten machten uns doch nur zu einem ganz kleinen Licht – wir sind gesegnet. Vor diesem Predigttext war Abraham auch kein besonderer Mensch. Es wird im Kapitel vorher nur gesagt, zu welcher Familie er gehörte, dass er geheiratet hat und wo er wohnte. Das war schon alles. Doch plötzlich kommt Gottes Segen ins Spiel und heute ist Abrahams Name auf der ganzen Welt bekannt und er ist für Juden, Christen und Muslime ein Vorbild im Glauben.
Ein Segen sein
Wenn wir von Gott gesegnet sind, dann können auch wir für andere Menschen zum Segen werden. Vielleicht ist es einfacher zu überlegen, wo und wie andere für uns zum Segen geworden sind. Wie wirkte der Segen Gottes durch unsere Eltern und Großeltern auf uns? Welch ein segensvolles Geschenkt sind unsere Kinder und Enkel? Wieviel Segen haben uns gute Lehrerinnen, Kollegen, Vorgesetzte weitergegeben?
In diesem Zusammenhang frage ich mich auch, ob wir Fremde, die zu uns kommen, – so wie auch damals Abraham zum Fremden wurde – einmal nicht nur als Last für unsere Sozialsysteme oder Konkurrenz um Arbeitsplätze sehen können. Ist es nicht möglich, dass auch sie für uns zum Segen werden, so wie damals Abraham? Wer weiß, welche Bereicherung sie für unsere Gemeinschaft mitbringen? Wer weiß, wie Gott seinen Segen wirken lassen will?
Schließlich noch einmal ganz deutlich: Wenn Gott uns segnet, dann können auch wir zum Segen werden. Wir können auch andere ausdrücklich anderen den Segen Gottes zusprechen. Für viele Gottesdienstbesucher und -besucherinnen ist der Segen am Ende des Gottesdienstes etwas ganz besonderes. Trost, Ermutigung für den Weg in den Alltag. Hoffnung, dass Gott mitgeht. Genauso können wir – nicht nur der Pfarrer oder die Pfarrerin – mitten im Alltag einander Segen zusprechen. So wie eine Mutter, die mir mal erzählte, dass sie jeden Morgen zu ihren Kindern, wenn sie sich auf den Weg in die Schule machen, sagt: „Gott segne dich!“
Gottes Segen begleitet und auf allen Wegen und er will durch uns zum Segen für die Menschen um uns herum werden. Ist das nicht wunderbar?
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe