Predigt Septuagesimä Jeremia 9,22–23

Predigt Septuagesimä Jeremia 9,22–23 von Pfr. Uwe Hermann, Perikopenreihe IV, Thema: Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit.

Sonn-/Feiertag: Septuagesimä

Perikopenreihe: IV

Predigttext Jeremia 9,22–23

22 So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.
23 Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

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Predigt Septuagesimä Jeremia 9,22–23

Ein kunstvoll aufgebauter Text

Liebe Gemeinde!

Am Anfang dieser Predigt möchte ich mal einen kurzen Blick in die Werkstatt der alttestamentlichen Wissenschaft werfen. In diesem Fachbereich der evangelischen Theologie wird über die Geschichte des Alten Testaments – heute sagen wir meist lieber: „jüdische Bibel“ oder „erstes Testament“ – und die theologische Bedeutung geforscht. Dazu gehört auch, sich die Form der Texte genau anzuschauen.

Es gibt in der Bibel erzählende Texte, aber auch Gedichte – wie zum Beispiel die Psalmen. Wenn man aber ins Detail geht, dann gibt es noch viel mehr spannende Dinge zu entdecken. Das gilt auch für unseren heutigen Predigttext. Es ist ein sehr kunstvoll aufgebauter Text.

In den Prophetenbüchern gibt es immer wieder eine ganz bestimmte Formulierung. Es ist die sogenannte Botenspruchformel: So spricht der Herr. Propheten erhoben den Anspruch, Gottes Boten zu sein. Es ging tatsächlich nicht vor allem darum, die Zukunft vorherzusagen, sondern Gottes Wort für die Zeitgenossen zu sagen und deutlich zu machen, was Gott von seinem Volk wollte. Immer, wenn ein Prophet im Namen Gottes sprach, dann verwendete er diese Botenspruchformel. Damit war klar: Das ist jetzt ganz besonders wichtig!

In diesen Versen aus dem Buch des Propheten Jeremia ist noch etwas Besonderes: Er wiederholt am Schluss die Formel. Das göttliche Wort wird also eingerahmt durch dieses „Ausrufezeichen“. Dass es am Schluss noch einmal heißt: spricht der Herr! Das heißt es ist etwas ganz Besonderes. Jetzt muss man aufmerksam zu hören. Das gilt unbedingt!

Dieser Rahmung durch die zweifache Botenspruchformel entspricht, dass auch der eigentliche Text zwei Teile hat, die parallel sind. Im ersten Vers wird gesagt, was nicht sein soll und im zweiten Vers geht es um das, was stattdessen notwendig ist. In beiden Teilen wird dies durch Jeweils drei Stichwörter ausgedrückt: Weisheit, Stärke und Reichtum stehen Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit gegenüber.

Hochmut und Demut

Aber was ist denn nun das Besondere am Inhalt dieses Textes?

„Hochmut kommt vor dem Fall.“ „Eigenlob stinkt.“ Das ist doch alles altbekannt. Weisheit, Stärke und Reichtum – das passt doch auch heute noch. Wer ist der bedeutendste Wissenschaftler? Wer hat Recht in Fragen von Corona oder Klimawandel? Wer ist der mächtigere Anführer – Putin, Biden oder Xi Jinping? Wer hat die meisten Panzer? Und Reichtum? Denken wir an die Werbung: Mein Haus, mein Auto, meine Jacht…

Ja, Ja! So könnte man sagen, so ist es in unserer Welt – damals, wie heute! Aber wie ist es denn richtig? Das ist wohl der eigentliche Anstoß des Textes: wir sollen uns Gottes rühmen! Das ist übrigens die eigentliche, recht verstandene Demut. Es geht nicht darum, sich selbst schlecht zu machen, immer den untersten Weg zu gehen und alles mit sich machen zu lassen. Es geht vielmehr darum, Gott anzuerkennen und seinen Wegen zu folgen.

Weisheit, Stärke, Reichtum werden hier nicht verteufelt. Es geht vielmehr darum zu erkennen, dass alles was wir haben, letztlich von Gott kommt. Wer das so sieht, wer das so glaubt , der gibt die Ehre Gott, nicht sich selbst.

Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit

Barmherzigkeit ist im Hebräischen nicht nur im Sinne von Mildtätigkeit gemeint, sondern eine feste Verbindung zweier Partner, die sich gemeinsam gebunden wissen an die gegenseitige Verpflichtung. Wenn Menschen zueinander halten, miteinander gehen, beieinander stehen, was auch kommt, dann ist das Barmherzigkeit. So wird Barmherzigkeit geübt und bewährt. Verlässlichkeit ist dabei ein wichtiger Punkt. Kann ich mich auf den anderen verlassen? Können andere sich auf mich verlassen?

Recht verbinden wir vor allem damit, Recht haben zu wollen. Dies gilt ganz besonders vor Gericht. Doch in der Bibel geht das noch ein Stück weiter: es soll keiner zu kurz kommen. Es soll nicht nur jede und jeder „sein Recht“ bekommen, sondern alle sollen haben, was sie zum Leben brauchen. Davon sind wir auch heute noch in unserer Welt weit entfernt.

Denken wir an das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg aus der Lesung Matthäus 20,1–16. Alle Tagelöhner bekommen am Ende des Tages den gleichen Lohn; ob sie nun den vollen Tag oder nur wenige Stunden oder erst ganz zum Schluss noch gerade einmal eine Stunde gearbeitet haben. Nach den Maßstäben der Stechuhr ist das ungerecht. Der Lohn im Gleichnis reicht aus, den Tagelöhner und seine Familie einen Tag lang zu versorgen. Der Chef sorgt also dafür, dass auch die, die weniger gearbeitet haben, trotzdem genug zum Leben bekommen. Nach den Maßstäben Gottes heißt das: darauf zu achten, dass jede und jeder zu seinem Recht kommt.

Gerechtigkeit üben ist sozusagen die Umsetzung des Rechts. Es bedeutet das zu tun, was dem Recht im Sinne Gottes entspricht. Es geht also bei Gerechtigkeit nicht darum, Recht zu bekommen, sondern dafür zu sorgen, dass alle gut leben können. Es geht hier um Nächstenliebe, um Teilen und Helfen. Gerechtigkeit ist etwas aktives. Es ist unsere göttliche Aufgabe, Gerechtigkeit zu üben.

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Gottes Geschenk

Der Prophet sagt uns also, dass wir uns nicht auf die eigene Weisheit, Stärke oder den eigenen Reichtum verlassen, sondern im Sinne Gottes in unserem Leben, in unserer Welt handeln sollen. Es geht darum, dass wir aktiv werden müssen für Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Und doch gibt es da noch eine Kleinigkeit in unserem Predigttext. Darauf müssen wir noch achten.

Wenn wir barmherzig sind, Recht üben und gerecht miteinander umgehen, dann könnten wir uns dessen rühmen. Wir könnten sagen: „Was bin ich ein guter Mensch! Ich bin ja sooooo barmherzig und soooo gerecht! Ich bin schon ein toller Hecht.“ In dem Moment ist aber schon wieder etwas schief gegangen, ähnlich wie bei Weisheit, Stärke und Reichtum.

Im Predigttext sind das alles Dinge, die zuerst Gott uns tut. Gott ist barmherzig, übt Recht und Gerechtigkeit. Wenn wir in diesem Licht erkennen, dass alles, was wir möglicherweise an Klugheit, Stärke und Reichtum haben, von Gott kommt, dann ist das Eigenlob ausgeschlossen. Dann ist es aber auch möglich, selbst das zu tun, was Gott möchte: Die Gaben, die er uns gegeben hat so einzusetzen, dass sie diesen Maßstäben Gottes entsprechen.

Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit: Treue und Verlässlichkeit, andere achten und wertschätzen, Teilen und Helfen.

Dann gelingt das Leben und es wird gut für uns selbst, im Einklang mit anderen und in Übereinstimmung mit Gott.

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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