Predigt 3. Sonntag nach Epiphanias Römer 1,13-17

Predigt 3. Sonntag nach Epiphanias Römer 1,13-17 von Pfr. Uwe Hermann, Perikopenreihe V, Thema: Geschenkte Gerechtigkeit. Gehalten im Gottesdienst am 22.01.2023 in Sechshelden.

Sonn-/Feiertag: 3. Sonntag nach Epiphanias

Perikopenreihe: V

Predigttext Römer 1,13-17

13 Ich will euch aber nicht verschweigen, Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert –, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter andern Heiden.
14 Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig;
15 darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen.
16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.
17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Hab 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

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Predigt 3. Sonntag nach Epiphanias Römer 1,13-17

Gänsehaut

Liebe Gemeinde,

es gibt Dinge, die machen uns Gänsehaut. Das kann die Erinnerung an einen wunderbaren Moment im Leben sein oder ein Lied, mit dem eine berührende Situation verbunden ist. Manchmal sind es auch Worte, ein Gedicht oder eine Redewendung. Für mich gehört dieser Predigttext dazu. Vor allem Vers 17. Da bekomme ich eine Gänsehaut. Warum eigentlich? Das ist doch recht verschwurbelt und irgendwie unkonkret. Warum sollte so ein Text etwas Besonderes sein?

Und doch hat dieser Vers vor über 500 Jahren die Welt verändert. Es fällt mir deshalb zwar schwer, diese Predigt im erträglichen Rahmen zu halten, aber ich werde versuchen, mich auf ein paar zentrale Punkte zu beschränken.

Martin Luther war groß geworden mit der Angst vor einem gerechten Gott, der die Sünder straft und ins Fegefeuer und die Hölle wirft. Er studierte Theologie und wurde Mönch, weil er hoffte, dadurch Gottes Zorn zu entkommen. So sehr er sich aber bemühte, ein gottgefälliges Leben zu führen, musste er immer wieder erkennen, dass er ihm nicht gerecht wurde. So blieb die Angst vor dem zornigen, gerechten, strafenden Richter, den er und seine Zeitgenossen in Gott sahen.

Er beschreibt, wie er in seinem Arbeitszimmer im Südturm des Wittenberger Augustinerklosters saß und immer wieder diesen Vers, Römer 1,17 las: Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben. Luther erzählt, dass er das Wort Gerechtigkeit Gottes hasste – ja, er bekennt sogar, dass er Gott hasste. Wie konnte er diesen richtenden Gott lieben, der den Menschen als Sünder verdammt ohne Ausweg?

So rang Luther mit dem Vers und beschreibt dann, wie Gott ihm die Erkenntnis gab, dass es nicht darum geht, dass wir Menschen uns vor Gott rechtfertigen müssen, sondern dass Gott uns seine Gerechtigkeit schenkt. Keine Strafe, sondern ein Geschenkt! Wo bisher Angst vor Gott war, erfährt er jetzt die Liebe Gottes. Es war für ihn eine Befreiung, die er so beschreibt: „Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein.“

Angst

Haben wir heute noch Angst vor Gott? Das spielt in unserer Gesellschaft wohl kaum noch eine Rolle. Angst und Sorge machen uns eher andere Dinge. Aber wie ist es mit Angst und Sorgen in der Welt – also nicht vor Gott, sondern vor den Dingen, die uns ganz konkret Angst machen? Krieg, Klimawandel, Energiekrise, Inflation, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Tod… Wäre die Botschaft von der voraussetzungslosen Liebe Gottes zu allen Menschen nicht auch hilfreich in unserer von Angst und Sorgen gezeichneten Welt?

Wichtiger ist mir aber heute: Haben wir Christen und Christinnen unseren Glauben nicht viel zu oft mit Angst verbunden? Ich erinnere mich an einen Prediger aus meiner Jugendzeit, der uns Jugendlichen einmal von der Kanzel herunter mit ausgestrecktem Zeigefinger zurief: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, und ihr jung Leut kommt mit de Jeans i de Kirche.“ (mehr dazu: hier klicken) Ist das richtig gewesen? Muss ich vor Gott Angst haben, wenn ich mit der falschen Kleidung in die Kirche gehe?

Es ist tatsächlich so, dass die Kirche lange Zeit den Menschen wieder Angst gemacht hat, vor Gott zu versagen. Wenn du nicht richtig glaubst… Wenn du nicht regelmäßig in den Gottesdienst gehst… Wenn du keinen Respekt vor dem Pfarrer hast… Wenn du nicht oft genug betest…

Denken wir mal an den Satz: „Gott sieht alles!“ Dieser Satz kann einem gläubigen Menschen Geborgenheit schenken, weil er weiß, dass Gott immer da ist und auf ihn achtet und ihn beschützt und segnet. Dieser Satz kann aber auch den Glauben kaputt machen, wenn damit verbunden wird: Gott sieht alles, also pass auf was du tust! Dann macht der Satz Angst und kann sogar zu psychischen Problemen führen. Es gibt dann keine Privatsphäre mehr. Gottes strafender Blick richtet sich auf jede Kleinigkeit.

Seien wir also vorsichtig mit solchen Aussagen. Außerdem haben wir doch eine Alternative: Gottes Liebe ist ein Geschenk! Das ist doch eine frohe Botschaft, ein Evangelium, mit der wir ins Leben gehen und mit der wir auch unsere Kinder ins Leben schicken können.

Leistung

Auf Angst reagierte Luther mit frommer Leistung. Doch er schaffte es nicht. Er ist nie perfekt gewesen. Er konnte vor diesem strengen Gott nie bestehen. Sein Gewissen klagte ihn immer wieder an. Was er auch versuchte, – beten, fasten, meditieren… – es war nie genug. Immer noch schwebte dieser erbarmunslose Gott über ihm.

Dann erfährt er, dass er das gar nicht muss, sondern Gott ihm seine Liebe aus freien Stücken schenkt. Das nennen wir in der Theologie Rechtfertigung. Das ist die Grundlage der evangelischen Kirche. Das war die befreiende Botschaft, die Luther im Römerbrief fand.

Auch in diesem Zusammenhang geht es in unserer Gesellschaft heute nicht mehr so sehr um fromme Leistungen, aber wäre die Botschaft von der geschenkten Liebe Gottes nicht auch hilfreich in unserer Leistungsgesellschaft. Würden wir mit Menschen, die nicht so viel leisten können, barmherziger umgehen, wenn dieser Gedanke des Paulus und Luthers unsere Gesellschaft bestimmen würde?

Wichtiger ist mir aber heute: Haben wir Christen unseren Glauben nicht viel zu oft mit frommen Leistungen verbunden? Ich weiß, an dieser Stelle kommt oft der Einwand: Wenn es aber nicht auf unsere Werke, unsere Leistung ankommt, sondern alles von Gott geschenkt wird, ist dann nicht alles egal? Können wir dann nicht alles machen, was wir wollen? Gibt es dann überhaupt noch ethische und moralische Maßstäbe?

Martin Luther hat die Gerechtigkeit Gottes doppelt verstanden: affektiv und effektiv. Es kommt nur auf die richtige Zuordnung an. Affektiv heißt, dass Gott uns die Rechtfertigung zuspricht, es ist ein Geschenk der Liebe Gottes. Gleichzeitig ist diese Rechtfertigung, die Gerechtigkeit Gottes aber auch effektiv, das heißt, sie setzt etwas in Bewegung.

Wer wirklich die befreiende Liebe Gottes erlebt hat, der kann nicht mehr anders, als auch aus dieser Liebe zu leben! So herum wird ein Schuh draus. Auch unsere Werke, Leistungen, unsere Liebe und Gerechtigkeit, unsere Nächstenliebe und unser Einsatz für Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind Gottes Geschenk an uns. Wie haben die Alten gesungen? Nichts hab ich zu bringen, alles, Herr, bist du!

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Unser Turmerlebnis

Vielleicht sollten wir Christinnen und Christen, unsere ganze Kirche mal wieder in den Südturm des Augustinerklosters in Wittenberg gehen und diesen Vers aus dem Römerbrief gründlich bedenken. Vielleicht kommen wir dann zu einem befreiten Glauben, der auch attraktiv ist für Menschen, die heute in Angst und Sorge leben und von der Leistungsgesellschaft kaputt gemacht werden.

Ist es denkbar, dass wir – wie Luther vor über 500 Jahren – unsere ganz persönliche Pforte ins Paradies finden?

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Links zur Predigt 3. Sonntag nach Epiphanias Römer 1,13-17

Eine interessante Predigt zum Text findest Du hier: https://www.theologie.uzh.ch/predigten/roemer-116-17/

Und hier noch das vollständige Zitat aus Luthers Erinnerungen zu seinem 2Turmerlebnis“:

„Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch offene Tore trat ich in das Paradies selbst ein. Da zeigte mir die ganze Schrift ein völlig anderes Gesicht. Ich ging die Schritt durch, soweit ich sie im Gedächtnis hatte, und fand auch bei anderen Worten das gleich, z. B.: „Werk Gottes“ bedeutet das Werk, welches Gott in uns wirkt; „Kraft Gottes“ – durch welche er uns kräftig macht; „Weisheit Gottes“ – durch welche er uns weise macht. Das gleiche gilt für „Stärke Gottes“, „Heil Gottes“, „Ehre Gottes“.
Mit so großem Hass, wie ich zuvor das Wort „Gerechtigkeit Gottes“ gehasst hatte, mit so großer Liebe hielt ich jetzt dies Wort als das allerliebste hoch. So ist mir diese Stelle des Paulus in der Tat die Pforte des Paradieses gewesen.“
Aus: Martin Luther, Vorrede zu Band I der lateinischen Schriften, 1545, in: Luther Deutsch, Die Werke Luthers in Auswahl, 2: Der Reformator, hg. von Kurt Aland, UTB Vandenhoeck, Göttingen 1991, Seite 20

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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