Predigt 16. Sonntag nach Trinitatis Klagelieder 3,22–26.31–32

Predigt 16. Sonntag nach Trinitatis Klagelieder 3,22–26.31–32 von Pfr. Uwe Hermann, Perikopenreihe III, Thema: Klage und Hoffnung. Gehalten im Gottesdienst am 24.09.2023 in Liebenscheid und Neukirch.

Sonn-/Feiertag: 16. Sonntag nach Trinitatis

Perikopenreihe: III

Predigttext Klagelieder 3,22–26.31–32

22 Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,
23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.
25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.
26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.
31 Denn der Herr verstößt nicht ewig;
32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

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Predigt 16. Sonntag nach Trinitatis Klagelieder 3,22–26.31–32

Klagelieder

Liebe Gemeinde!
Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich heute mal etwas Bibelkunde mit Euch mache. Das Buch der Klagelieder, aus dem unser Predigttext heute stammt, ist ein kleines biblisches Buch mit nur fünf recht kurzen Kapiteln. Es findet normalerweise nicht viel Beachtung. Auch in der Perikopenordnung – die für die einzelnen Sonntag vorgeschlagenen Lesungen aus der Bibel und für Predigttexte – war lange Zeit nur ein einziger Text vorgesehen. Das ist unser heutiger Predigttext. Erst seit der Revision vor ein paar Jahren gibt es noch einen zweiten Text aus diesem Buch.

Dieser zweite Text aus dem fünften Kapitel ist für den 10. Sonntag nach Trinitatis vorgesehen, der als „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“ gefeiert wird. Das hat seinen Grund! Die Klagelieder stammen aus dieser Zeit und beziehen sich inhaltlich auf die Eroberung des Landes Juda und der Stadt Jerusalem im Sommer des Jahres 587 vor Christus. Nach etwa zweieinhalb-jähriger Belagerung gelang es dem König der Babylonier Nebukadnezar die Israeliten unter König Zedekija zu besiegen. Kurz darauf wurde der Tempel und ein großer Teil der Stadt Jerusalems niedergebrannt.

König Zedekija wurde gefangen genommen. Er musste mit ansehen, wie seine Söhne ermordet wurden, und wurde – nachdem er geblendet worden war – mit der Oberschicht des Landes und einem Teil des Volkes in die Gefangenschaft nach Babylon gebracht. Das war der Beginn der sogenannten Babylonischen Gefangenschaft. Ein wichtiges Ereignis im Alten Testament, auf dass sich viele biblische Schriften beziehen.

Der Prophet Jeremia war ein Zeitzeuge der Ereignisse bis zur Eroberung Jerusalems. Deshalb auch die Zuschreibung der Klagelieder an ihn. Auf jeden Fall stammen diese Gedichte aus der Zeit kurz nach der Eroberung Jerusalems. Jeremia warnte das Volk und König Zedekija davor, sich auf Menschen zu verlassen. Gott werde selbst für sein Volk sorgen. Trotzdem schmiedete Zedekija Pläne gegen die Babylonier, indem er sich mit Ägypten verbündete. Babylon und Ägypten waren damals die Großmächte. Zedekija hatte sich verrechnet. Babylonien war stärker.

Die Dichtung der Klagelieder

Die Klagelieder sind kunstvoll gestaltet. Das Buch besteht aus fünf Dichtungen, die in unserer Bibel als fünf Kapitel auftauchen. Der Dichter dieser Lieder versucht sich die schrecklichen Ereignisse aus der Prophetie zu erklären. Er erkennt, dass das Volk und der König durch ihr Taktieren mit Ägypten selbst schuld sind am Untergang. Nicht Gott hat versagt, sondern das Volk selbst. Das Buch beginnt mit verzweifelter Klage (1:1–2) und endet mit Umkehr und Hinwendung zu Gott (5:21–22). In der Mitte steht das überwältigende Bekenntnis zur Güte Gottes und zu seiner Barmherzigkeit, die noch kein Ende hat (3:22–24). (Siehe: Einführungen und Erklärungen aus der Stuttgarter Erklärungsbibel. Neuausgabe mit Apokryphen. Stuttgart : Deutsche Bibelgesellschaft, 2005)

Alle fünf Gedichte oder Lieder sind in einer besonderen Form abgefasst. Die Lieder eins, zwei, vier und fünf haben je 22 Verse. In den Liedern eins, zwei und vier fangen die einzelnen Verse mit Buchstaben in der Reihenfolge des hebräischen Alphabets, das 22 Buchstaben hat, an. In Lied drei – aus dem unser Predigttext stammt – fangen jeweils drei Verse mit dem entsprechenden Buchstaben an, sodass es insgesamt 66 Verse gibt. Schade, dass wir diese kunstvolle Gestaltung in unserer deutschen Übersetzung nicht sehen können.

Klage

Das große Thema des Buches der Klagelieder ist natürlich die Klage über den Untergang des jüdischen Reiches, die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels. Das dritte Lied beginnt sehr eindrucksvoll mit dem Satz „Ich bin der Mann, der Elend sehen muss.“ (Kapitel 3,1). Später heißt es: „Wasserbäche rinnen aus meinen Augen.“ (Kapitel 3,48)

Es ist eine schreckliche Katastrophe, die die Menschen im damaligen Israel getroffen hatte. Wie hört sich das im Vergleich zu unseren heutigen Krisen an? Zumindest, wenn wir auf uns schauen, geht es uns doch vergleichsweise gut. Die Menschen in der Ukraine, Berg-Karabach und anderen Kriegsgebieten, in den Katastrophengebieten in Marokko, Libyen und anderen Ländern – denen geht es wohl genauso wie dem Dichter.

Aber auch in unseren persönlichen Katastrophen des Lebens oder gehen wir noch einen weiteren Schritt zurück: Wenn wir einfach nur Probleme haben, wenn es uns nicht gut geht, wenn das Leben uns übel mitspielt… Was tun wir dann mit unserem Glauben? Wie beten wir dann? Kommt uns dann in den Sinn zu klagen? Oder sind wir doch der Meinung, dass man so mit Gott nicht reden kann? Müssen wir immer schön demütig sein und schweigen?

Ich habe den Eindruck, die Klage ist weitgehend aus den christlichen Gebeten rausgefallen. Auffällig ist doch auch, dass ausgerechnet diese Verse als Predigttext ausgewählt wurden. Es sind fast die einzigen, die nicht klagen. Aber bleiben wir noch einen Moment bei der Klage. Ich lese mal ein paar Verse aus dem dritten Lied vor, die deutlich machen, wie intensiv der Beter vor Gott klagt:

Klagelieder 3,1-8: „Ich bin der Mann, der Elend sehen muss durch die Rute des Grimmes Gottes. Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht ins Licht. Er hat seine Hand gewendet gegen mich und erhebt sie gegen mich Tag für Tag. Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen. Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben. Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind. Er hat mich ummauert, dass ich nicht heraus kann, und mich in harte Fesseln gelegt. Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren zu vor meinem Gebet.“

Klage ist ein Gebet

Dieses Lied ist ein Gebet. Der Dichter wendet sich an Gott. Gott wird das Leid geklagt. Vielleicht sollten wir deshalb besser von dem Beter reden. Weil aber nicht über Gott geklagt wird, sondern im Gebet, also im Gespräch mit Gott, darum kommt der Beter auch wieder zu Gott zurück. So findet er auch einen Weg über die Klage hinaus. Er kommt zu der Einsicht, dass Gottes Zorn ein Ende haben wird, Gottes Barmherzigkeit aber ewig ist. Er sieht: „Darum haben wir Grund zu hoffen, dass Gott sich unser erbarmt.“

Liebe Gemeinde, ich möchte Mut machen, in schweren Situationen nicht nur theoretisch zu fragen warum, sondern sich direkt an Gott zu wenden und zu klagen. Wer nicht weiß, wie, dem seien die Klagelieder oder die Klagepsalmen zur Lektüre empfohlen. So lange wir unsere Klage an Gott richten, lassen wir ihn nicht los! So war es auch bei Hiob! So war es beim Beter der Klagelieder. So hat unser Glaube die Chance zu überleben. Und vor allem hat so die Hoffnung eine Chance wieder zu uns zu kommen.

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Klage und Hoffnung

Damit komme ich jetzt zum Ende der Predigt endlich mal direkt auf den Predigttext selbst. Dieser Text ist mitten in der Klage der Klagelieder ein Hoffnungstext. Ist das nicht erstaunlich und auch wunderbar? Der Dichter – oder sagen wir jetzt besser: der Beter – kommt von der absoluten Hoffnungslosigkeit her: „Ich sprach: Mein Ruhm und meine Hoffnung auf den HERRN sind dahin.“ (Kapitel 3,18). So schlimm ging es dem Dichter und dem Volk Israel vor zweieinhalb Jahrtausenden. Aber durch die Klage hindurch kommt er wieder zur Hoffnung und schließlich zum Lob Gottes.

Die Wendung kommt kurz vor dem Predigttext: Gott denkt an uns. „Das nehme ich mir zu Herzen, darum hoffe ich noch!“ Es ist noch etwas zurückhaltend. Es beginnt erst, sich etwas im Beter zu verändern: „noch“! Und doch ist ein kleines Fünkchen der Hoffnung wieder da. „Darum hoffe ich noch!“ Es ist nicht so, dass ein Schalter umgelegt wird – von zu Tode betrübt in einem Moment zu himmelhoch jauchzend im anderen Moment. So einfach ist es dann doch nicht.

Die Klage braucht ihren Raum. Leid, Not und Trauer brauchen ihre Zeit um überwunden zu werden. Doch mit Gottes Hilfe kann es gelingen. So langsam entsteht wieder Hoffnung und der Glaube findet wieder Halt. So langsam kommt die Erinnerung an frühere Zeiten zurück. Ganz langsam kommt der Glaube wieder: Gott ist doch gütig! Gott ist doch barmherzig! Dann sieht der Beter, was alles noch gut ist in seinem Leben. Es könnte noch schlimmer sein. Es gibt noch eine Zukunft. Noch leben wir! Deshalb kann es auch wieder weiter gehen und mit Gottes Hilfe besser werden. Gott ist immer noch da!

Deshalb heißt es mitten im Predigttext, mitten in den Klageliedern und mitten in der Klage: Ich hoffe auf ihn! Wäre das nicht auch für uns in unserer Krisen gebeutelten Zeit ein gutes Motto für den Glauben?

Ich hoffe auf ihn!

Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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