Gibt es eine digitale Reformation der Kirche?
Wird es eine digitale Reformation der Kirche geben? Bald feiern wir den 503. Jahrestag der Reformation der Kirche durch Martin Luther. 1517 soll er seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg genagelt haben. Auch wenn diese Geschichte wohl eine Legende ist, begann mit Luther eine der größten Umwälzungen der neueren Geschichte.
Viele Menschen fragen sich, ob heute wieder so ein Punkt erreicht ist, an dem “Geschichte geschrieben” wird. Häufig wird von der digitalen Revolution gesprochen. Ein Revolution ist – meist gewaltsam – eine völlige Umwälzung. Eine Reformation bewahrt Gutes und passt es an neue Gegebenheiten an.
Ich bin überzeugt davon, dass die Digitalisierung genau das macht. Das gilt auch für die Kirche. Die Kirche muss sich der Digitalisierung stellen und sich selbst digital reformieren. Wenn sie das nicht tut, dann wird sie zum alten Eisen gelegt.
In diesem Beitrag möchte ich ein paar Punkte nennen, die mir in diesem Zusammenhang wichtig sind. Es ist sicher nicht umfassend und endgültig. Ich möchte aber gerne mit Dir und den vielen anderen, die über digitale Kirche nachdenken, darüber im Gespräch bleiben.
Kirche digital
Dieser Beitrag steht im Themenbereich Kirche digital.
Kirche
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Kommunikation
Die digitalen Medien und das Internet haben die Art und Weise, wie wir kommunizieren radikal verändert. Trotzdem scheint es manchmal so, als ob es inhaltlich nichts Neues gibt, nur mit anderen Mitteln übertragen wird. Das scheint mir zu kurz gedacht.
Die Veränderung der Kommunikation geht weiter. Meiner Meinung nach ist das auch für die Kirche die Chance etwas in ihrer eigenen Kommunikation zu verändern. Heute taucht Kirche in den Medien vor allem “kirchenamtlich” auf. Das heißt, es wird von berufener Stelle erläutert, was gut und richtig ist und was die Kirche zu einem Thema zu sagen hat.
Digitale Reformation bedeutet aber, nicht mehr einseitig zu dozieren, sondern sich auf eine direkte, sozusagen “face to face” Diskussion einzulassen. Unter Face to face verstehen digitale Zögerer oft genau das Gegenteil, nämlich nur analoge Gespräche, bei denen man sich gegenübersitzt. Digitale Kommunikation, vor allem soziale Medien funktionieren aber prinzipiell dialogisch.
Wenn Kirche also digital kommuniziert, muss sie sich nicht nur fragen, mit wem sie das tut. Nur mit ihren Mitgliedern? Mit Menschen anderen Glaubens? Mit Atheisten? Sie muss sich auch darauf einlassen, mit den Angesprochenen auf Augenhöhe zu reden. Dabei ist es egal ob eine Bischöfin, ein Pfarrer oder eine ehrenamtliche Mitarbeiterin spricht.
Digitale Kirche “ist als Kirche on demand näher bei den Menschen. … Im digitalen Raum lernt die Kirche „ich“ zu sagen. Was ich glaube und wie mir mein Glauben im Leben hilft, das kann ich am besten ganz persönlich sagen.” Aus: Onlinekirche der EKM – 9,5 Thesen zur Digitalen Reformation
Individualisierung
Schon die “ersten Reformation” trug wesentlich zur Individualisierung bei. Der einzelne Mensch steht vor seinem Gott. Der einzelne Mensch glaubt und lebt seinen Glauben. Die Kirche (hier meine ich die Organisation) ist nicht dafür verantwortlich. Sie verkündigt nur den Glauben und schafft einen Raum dafür. Durch die Digitalisierung wird die Individualisierung jetzt noch radikaler. Was heißt das für den Glauben? Was hält Kirche dann noch im Inneren zusammen, wenn jeder “sein eigenes Glaubenssüppchen kocht”?
“Dem christlichen Leben droht die Vereinzelung und es fällt zurück ins Private. Christliche Religion reduziert sich zum Angebot im Web, das frei gewählt oder auch abgeschaltet werden kann.” Aus: Zwischen Euphorie und Ermüdung
Digitale Reformation der Kirche bedeutet, diese Individualisierung nicht nur wahrzunehmen, sondern sie anzuerkennen. Es macht keinen Sinn, darüber zu jammern, dass über beinahe alle gesellschaftlichen und theologischen Fragen keine breite Einigung erzielt werden kann. Kirche muss lernen, im freien, gleichberechtigten Diskurs zu leben – demütig sein und Gott entscheiden zu lassen.
Demokratisierung
Das bisher Gesagte führt zu einer umfassenden Demokratisierung. Auch wenn die evangelischen Kirchen grundsätzlich demokratisch geordnet sind, gibt es doch immer noch einen theokratischen Zug in der Hierarchie. Muss denn wirklich die theologische Aussage, dass Gott über allem herrscht, dazu führen, das auch in menschlicher Organisation abzubilden?
Die “erste Reformation” sprach vom Priestertum aller Getauften; sollten wir das heute endlich einmal wirklich ernst nehmen? Die Digitalisierung gibt wohl zum ersten Mal in der Geschichte die Chance, das auch tatsächlich umzusetzen. Es ist an der Zeit eine grundsätzliche und fundamentale Demokratisierung der Kirche einzuleiten.
“Es geht, seit es die Digitalisierung gibt, … um Vielfalt, um Beziehungen und Interaktionen, um Netzwerke und Solidaritäten. … Die Chance der Digitalisierung liegt im Gespräch, im Miteinander, im Gleichzeitigen.” Aus: Digitalisierung: Und wie wir wandern im finstern Digital
Missverständnisse behindern digitale Reformation
Es gibt immer noch einige Missverständnisse im Zusammenhang mit der digitalen Reformation der Kirche. Diese verhindern eine offene und hoffnungsvolle Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie müssen ausgeräumt werden, damit Kirche mutig weitere Schritte unternehmen kann. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Missverständnis 1: Digital gleich modern.
Schon immer wurde der Kirche vorgeworfen, altmodisch zu sein. Dieses Image ist nicht einfach abzulegen, wenn nun Ratsvorsitzende auf Facebook unterwegs sind. Es geht um viel mehr. Digitale Reformation macht die Kirche nicht modern – na ja, vielleicht auch. Sie wird die Kirche grundlegend verändern.
Missverständnis 2: Digital ungleich real.
Selbst heute höre ich in kirchlichen Kreisen noch die Unterscheidung virtuell gegenüber real. Als ob das Digitale nicht zu unserer alltäglichen Realität gehöre. Natürlich ist die direkte Begegnung von Menschen von ganz besonderem Wert – das hat Corona deutlich gezeigt. Doch ein Gespräch über Zoom ist deswegen nicht irreal. Das Digitale steht der Realität nicht gegenüber, sondern ist ein (!) Bestandteil der Realität.
Missverständnis 3: Digitale Kirche ist kein Zusatz.
Digitale Kirche muss überall “drin” sein. (theotabea). Es geht nicht darum, dass sowieso schon überlastete Pfarrer*innen “das auch noch machen sollen”. Kirche muss auf allen Ebenen grundsätzlich verstehen, dass das Digitale zum kirchlichen Leben dazugehört und mitten drin ist.
Links
Inzwischen gibt es unendliche viele Wortmeldungen zum Thema auf den unterschiedlichsten Ebenen: Kirchenamtlich und ganz persönlich, über Technik, für die Gemeinde, für die ganze Kirche, evangelisch, katholisch, freikirchlich… Ein paar, die ich für diesen Beitrag über digitale Reformation besonders lesenswert fand, habe ich für Dich hier zusammengestellt:
https://eulemagazin.de/online-gottesdienste-auf-dem-pruefstand/
https://onlinekirche.ekmd.de/ueber-uns/digitale-reformation/
Ein Beitrag, der eine große Debatte über digitale Kirche ausgelöst hat, wurde schon 2017 von Hannes Leitlein veröffentlicht. Dieser Artikel aus der Zeit ist absolut lesenswert – auch heute noch!
https://www.zeit.de/2017/13/digitalisierung-medien-martin-luther-kirchen-reformation-netz
Die digitale Reformation, wenn nicht gar Revolution, der Gesellschaft und unserer Welt wird voranschreiten. Das können wir nicht verhindern – ich würde es auch gar nicht verhindern wollen. Kirche kann sich dem nicht widersetzen. Als Teil der Gesellschaft hat sie automatisch daran teil. Die Frage ist nur, wie sie damit umgeht.
Kritische Fragen, ganz besonders aus theologischer Perspektive, sind wichtig und nötig. Eine Verweigerungshaltung aber ist kontraproduktiv. Gestalten wir mit! Gehen wir die digitale Reformation der Kirche mit Gottvertrauen und Zuversicht an!
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe