Dieser Beitrag „Schlechte Hirten“ erscheint in der Reihe „An-ge-dacht“, in der ich mehrmals in der Woche Gedanken zu einer Perikope des jeweiligen Sonntags schreibe. Weitere Informationen darüber und eine Übersicht aller bisher erschienenen Beiträge findest Du hier: An-ge-dacht.

Lesung III, Misericordias Domini

Hesekiel 34, 1-2(.3-9.)10-16.31

1 Und des Herrn Wort geschah zu mir:
2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
3 Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden.
4 Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt.
5 Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut.
6 Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder sie sucht.
7 Darum hört, ihr Hirten, des Herrn Wort!
8 So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragten, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten,
9 darum, ihr Hirten, hört des Herrn Wort!

10 So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
11 Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen.
12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war.
13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande.
14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels.
15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr.
16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.
31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.

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Schlechte Hirten, Misericordias Domini, Lesung III, Hesekiel 34,1-2(.3-9.)10-16.31

Der Lesungstext zum Sonntag Misericordias Domini aus dem Buch des Propheten Hesekiel rechnet mit den Herrschenden des Volkes Israel vor 2500 Jahren ab. Es ist eindeutig für den Propheten: Sie sind schlechte Hirten. Im Alten Testament sind mit den Hirten des Volkes zuerst die Könige gemeint. Das Vorbild schlechthin ist der König David, der als König nach dem Herzen Gottes vorgestellt wird.

Allerdings ist das Alte Testament auch voll von Berichten über Könige, die dem Auftrag Gottes nicht entsprochen haben. So ist dieser Text auch eine politische Abrechnung mit dem Königtum insgesamt. Darüber hinaus sind aber allgemein die Herrschenden, Machthaber und Reichen in Israel damals als schlechte Hirten gekennzeichnet.

Hier im Lesungstext werden die Hirten des Volkes gescholten, weil sie die Menschen ausbeuten. Im ganz konkreten Sinn! Sie weiden sich selbst, sagt Hesekiel. Es geht um politische Unterdrückung, um Beugung des Rechts und um wirtschaftliche Ausbeutung. Dadurch sind sie schlechte Hirten. Und deshalb wird Gott selbst eingreifen.

Können wir das einfach so auf heute übertragen? Sind damit die Politiker angesprochen? Ich denke, so einfach wie die Querdenker, können wir es uns damit heute nicht machen. Es geht ja nicht darum, dass die „Hirten“ allgemein schlecht sind, sondern darum, wie sie ihr Amt ausüben.

Außerdem frage ich mich: Geht es nicht weit darüber hinaus? Sind nicht fast alle Menschen in irgendeinem Zusammenhang Hirten und Hirtinnen? Ich habe es oft von außen gesagt bekommen, ich sei doch als Pfarrer ein Hirte meiner Gemeinde. Wären in diesem Sinn nicht nur Pfarrer:innen so zu sehen, sondern zum Beispiel auch Lehrer und Erzieherinnen sind doch Hirten der Schüler und Kinder. Ebenso könnte man Vorgesetzte in einem Betrieb so ansehen oder Bürgermeister oder Vereinsvorstände oder Meister oder Eltern oder (setz die Liste für Dein eigenes Leben fort).

Bin ich in den Zusammenhängen, in denen ich Verantwortung für andere trage ein schlechter Hirte? Wie kann ich denn ein guter Hirte sein? Wie ist denn überhaupt unser Bild vom Hirten und den Schafen? Hat das nicht auch etwas Problematisches? „Ich bin doch kein Schaf!“, kann man zu hören bekommen. Wir wollen nicht als dumme Herde blindlings einem „Führer“ folgen. Das ist ja auch verständlich und richtig so – erst recht mit Blick auf unsere Geschichte. Das ist dann auch ein deutlicher Hinweis darauf, wie schlechte Hirten entstehen.

Andererseits löst das Bild vom Hirten und den Schafen oft auch ein Gefühl von Geborgenheit aus. Das ist jemand, der sich um mich kümmert, die dafür sorgt, dass es mir gut geht. Vielleicht hängt das sogar mit Kindheitserinnerungen an gute Eltern zusammen. Wollen nicht auch wir Erwachsenen das Gefühl haben, Vertrauen zu den Verantwortungsträgern zu haben? Gerade in dieser Pandemiezeit ist das eine wichtige Frage. Können wir uns auf die Verantwortlichen verlassen? Und auch im ganz persönlichen Umfeld gibt es die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Verlässlichkeit, danach in den Arm genommen zu werden.

Mit Blick auf den Lesungstext geht es dann aber auch um die Frage, wie ich mit den Menschen umgehe, die mir anvertraut sind. Kann ich ein guter Hirte, eine gute Hirtin sein oder werden? Es gilt nicht nur immer nach denen „oben“ zu schauen, sondern auf mich selbst. Bin ich bereit Verantwortung zu übernehmen – für mich selbst und auch für die Menschen um mich herum?

Hesekiel kündigt hier an, dass Gott der wahre Hirte sein will und er wird zugunsten seines Volkes eingreifen. Wenn schlechte Hirten es nicht hinbekommen und nur sich selbst bereichern, dann muss Gott das ändern. Für Christen weist dieser Text so auch auf Jesus, den guten Hirten, hin. Darum geht es am Sonntag Misericordias Domini. Und als Christinnen und Christen haben wir in Jesus ein Vorbild, wie wir zu guten Hirten werden können.

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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