Die Kraft der Schwäche
Schwäche ist nicht gerade in! Unsere Welt beachtet die Starken. Die Schwachen stehen im Schatten. Das kennt man ja!
Wer hat, dem wird noch dazu gegeben.
Wer etwas leistet, vor dem haben wir Hochachtung.
Wer stark ist, der gewinnt.
Auf welcher Seite fühlst du dich im Moment? Bist du stark oder schwach?
Die meisten von uns haben wohl in ihrem Leben schon mal beides gefühlt. Ich muss zugeben, dass ich normalerweise lieber stark war. Geht es dir auch so?
Wie komme ich dazu, diesen Artikel mit “die Kraft der Schwäche” zu überschreiben?
Stark oder schwach – Erfahrungen
Oh ha, was habe ich mich lange Zeit stark gefühlt.
Ich musste Starksein auf die harte Tour lernen, weil mein Vater starb, als ich gerade mal 20 Jahre alt war. Ich hatte erst mit dem Studium begonnen und musste mich so ganz nebenbei um meine Mutter kümmern und dafür sorgen, dass mein Elternhaus in Schuss blieb. Eigentlich war ich darauf gar nicht recht vorbereitet. Aber wat mut, dat mut. Also Augen zu und durch.
Dann früh geheiratet, früh Kinder bekommen. Da musst du immer durchhalten und stark sein.
Später wurde ich Pfarrer! Hier auf dem Westerwald bedeutet das noch etwas. „Guten Tag, Herr Pfarrer!“ „Ja, Herr Pfarrer!“ … Die Menschen in der Gemeinde und auch drumherum sahen in mir den starken, jungen, tatkräftigen Pfarrer. Naja, so was tut einem natürlich auch gut.
Ich war sozusagen „Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens“. Verantwortlich für einen Jahresumsatz von ca. 1,5-2 Millionen Euro, über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bauaufsicht über sechs Gebäude und und und.
Ich war von Amts wegen Dienstvorgesetzter des kommunalen Jugendpflegers, stellvertretender Dekan, Kuratoriumsmitglied im Soldatenheim der Katholischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenseelsorge, Mitglied in verschiedenen Vereinen und und und.
Wow, was war ich für ein toller Hecht! Immer am wuseln, immer einen Termin, immer anerkannt, immer geachtet, immer stark!
Und dann?
Schwach sein zulassen
Von einem Tag auf den anderen ging nichts mehr! Einfach Schalter umgelegt und aus: Burnout. Ich war plötzlich auf andere angewiesen. Katastrophal! Wie war das mit dem tollen Hecht?
Ich war auf einmal schwach, ich konnte sowohl körperlich, als auch psychisch nichts, aber auch gar nichts mehr. Ich hatte eine tiefe Depression. Heute noch kann ich mich an einige Monate aus dem Jahr 2012 nicht mehr erinnern. Die Zeit ist wie weggeblasen.
Es begann ein Teufelskreis: Keine Kraft sich aufzuraffen (dumme Sprüche, wie “reiß dich mal zusammen”, nützen wirklich nicht viel), keine Bewegung mehr, nicht mehr unter Leute, nicht mehr aus dem Haus, noch weniger Kraft, noch mehr düstere Gedanken, noch weniger Bewegung, die eine oder andere körperliche Erkrankung kommt dazu, noch weniger Kraft…
Ich war in dieser Zeit vollständig auf andere angewiesen, auf meine Familie, auf Ärzte und Psychologen. Diese Schwäche zulassen, das war wohl das Schwierigste, das ich in den letzten Jahren lernen musste. Und das jetzt hier zuzugeben, dass fällt mir heute noch schwer.
Wann fühlst du dich schwach?
- Wenn der innere Schweinehund mal wieder stärker war.
- Wenn du krank bist.
- Angesichts des Todes, wenn du trauerst.
- Du kannst so stark sein wie du willst, wenn ein anderer stärker ist, fühlst du dich schwach.
- Wenn du in deinem Leben in eine Krise gerätst und nicht mehr aus noch ein weißt.
- Wenn Menschen, auf die du dich verlassen hast, sich plötzlich gegen dich wenden.
- …
Die Kraft der Schwäche
Der Apostel Paulus sagte einmal: Die Kraft Jesu Christi ist in den Schwachen mächtig! (Wörtlich: Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. 2. Korinther 12, 9)
Gott wirkt durch die Schwachen und Gott ist bei den Schwachen. Denk nur mal an die Geschichte von David und Goliath. In der Bibel finden sich noch viele weitere solcher Geschichten. Ganz zentral ist, dass sogar Gott selbst in Jesus Christus schwach geworden ist, bis hin zum Tod am Kreuz. Das war schon für die damalige Zeit kaum nachzuvollziehen. Die anderen Götter wurden immer nur stark und mächtig dargestellt.
Auch Martin Luther stimmt damit überein. Seine reformatorische Erkenntnis war, dass Gott uns liebt, ohne dass wir dafür eine Vorleistung erbringen müssten. Wir müssen nicht stark sein, wir müssen nichts Tolles geleistet haben in unserem Leben. So wie wir sind, will Gott uns annehmen. Auch wenn ich schwach bin, ist Gott für mich da und liebt mich.
Kraft, die aus der Schwäche wächst
Ja, das Leben geht auch weiter, wenn du schwach bist. Wunderbar, wenn es dann Menschen gibt, die dir zur Seite stehen. Ich habe das erlebt. Für mich waren diese Menschen wie Engel Gottes, die mir die Kraft Gottes spürbar gemacht haben.
Das gibt in der Schwachheit eine paradoxe Art von Kraft. Du wirst das nicht immer wirklich wahrnehmen. Früher oder später aber wirst du es erkennen. Dann sei dankbar dafür, trotz alledem und alledem. Ich kann auch inzwischen aus eigener Erfahrung sagen, dass nach einer Zeit der Schwachheit oft auch wieder neue Stärke kommt.
Heute geht es mir wieder gut (zumindest deutlich besser). Ich habe ungeheuer viel gelernt in den letzten Jahren der Schwäche. Vor allem ist mir der Glaube als starkes Fundament meines ganzen Lebens wichtig geworden. Wieder ganz neu erkannt habe ich außerdem die Bedeutung von Menschen, die mich lieben und zu mir stehen. Der dritte zentrale Punkt, den ich gelernt habe, ist, dass ich mir für mich selbst Kraftquellen suchen muss.
Aus all dem kann dann wieder neue Kraft wachsen. Kraft, die aus der Schwäche wächst.
Deshalb dürfen wir ruhig Mut zur Schwäche haben: Nur wer Schwäche zulässt und zugibt, kann sich ganz in Gottes Hand geben. Nur so kann die Kraft Gottes voll wirksam werden in deinem Leben. Nur so kannst du die Kraft erkennen, die dir andere Menschen geben und die du in dir selbst hast.
Du musst nicht immer müssen. Du musst nicht immer stark sein. Du musst dich nicht immer zusammenreißen. Egal, was andere sagen.
Sei einfach mal schwach!
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe
Hallo Uwe,
dein Beitrag ist zwar schon etwas länger her, aber ich finde mich fast wieder.
Mit dem Burnout habe ich glück gehabt. In der Zeit wo es mir so ähnlich erging, da meinte meine
Cousine: Mach doch ein Blog ! hä Blog und da fing ich mich an zu interessieren. Viele Dinge habe
ich von hinten angefangen anstelle von vorne. Aber wie sagte mein Stiefvater einmal. Elke: Du schiebst die
Kirch ums Dorf. Aber das ist bei vielen Dingen so bei mir, dafür bin ich mir dann auch recht sicher.
Eigentlich schon, nur das ich mich manchmal verunsichern lasse.
Das mit dem funktionieren kenne ich. Meine Mutter starb von jetzt auf gleich da war ich 21 und meine Mutter erst 41.
….Hab einen schönen Tag.
Herzliche Grüße
elke von elke.works
Hallo Uwe,
Dein Bericht, Deine Zeilen sprechen mit aus der Seele Klar, nicht ganz einfach zu sich selbst zu stehen. Zum Glück ist es auch mir gelungen, schon vor einigen Jahren, aller Welt zu zu gestehen, ich bin schwach geworden. Und aus dieser Schwäche entwickelte sich mit den Jahren wieder eine Stärke, welche mich heute sagen läßt, es geht mir eigentlich wieder ganz gut. Klar, da sind auch Tage, wo es nicht so läuft, wie ich es mag (die kennt aber Jeder). Doch ich habe gelernt mir Reserven zu schaffen und einige Quellen aufgetan, wo ich zwischendurch auftanken kann.
Der Glaube hat mir immer einen Halt gegeben. Ganz wichtig sind die Menschen um uns herum. Man lernt Abschied von denen zu nehmen, die einem nicht gut tun. Finde neue Freunde, wirkliche Freunde, die zu einem halten, in guten, wie in schlechten Tagen 🙂
Deine Themen und Inhalt hier übers Internet gefallen mir sehr gut.
Ein großes Lob also an dieser Stelle.
Lieben Gruß
von Christine