Vergänglichkeit

Vergänglichkeit ist ein “typisches” November-Thema. Der Herbst ist schon vorangeschritten, die Bäume sind fast kahl, der Winter naht. Die Natur scheint im Sterben zu liegen. Ist es an der Zeit, sich Gedanken über die eigene Vergänglichkeit, über Sterben und Tod zu machen?

Gerne tun wir das nicht. Wir haben viel Erfahrung damit, diese Themen zu verdrängen. Der Tod ist kein Thema für ein Alltagsgespräch. Der Umgang damit ist rundum professionalisiert – Pflegedienst, Hospiz, Krankenhaus, Bestatter, Trauerredner (oder manchmal vielleicht doch auch noch ein Pfarrer)…

Manchmal tritt das Thema aber doch in unser Leben. Das ist meist nicht angenehm, bedeutet es doch, dass jemand gestorben oder schwer krank ist. Dann denken wir vielleicht: “Ich sollte mich auch mal damit beschäftigen.” Doch meist ist das schon schnell wieder vergessen.

Vergänglichkeit im Kirchenjahr

Ich möchte heute Deinen Blick darauf richten. Lass Dich doch mal ein, das Thema Vergänglichkeit nicht zu verdrängen und denk mit mir und mit dem Kirchenjahr darüber nach. Ja, das Kirchenjahr hilft dabei. Die nächsten Wochen sind geprägt von diesem Thema:

  • Der drittletzte Sonntag des Kirchenjahres ist geprägt von der Sehnsucht nach Erneuerung, der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, auf Gottes Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
  • Am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres geht es um das “Weltgericht”, ein Symbol für die Frage nach Verantwortlichkeit. Üblicherweise wird dieser Sonntag Friedenssonntag gefeiert. Im gesellschaftlichen Rahmen ist es der Volkstrauertag.
  • Dazwischen schiebt sich der Buß- und Bettag. Es ist ein Tag an dem wir darüber nachdenken, wo wir Fehler gemacht haben, aber auch, wie ein Neuanfang möglich ist.
  • Der letzte Sonntag des Kirchenjahres wird entweder als Ewigkeitssonntag gefeiert, an dem die Hoffnung im Mittelpunkt steht. Für Christen: “Gott wird abwischen alle Tränen…”
  • Oder er wird als Totensonntag begangen. Dann steht die die Erinnerung an die Verstorbenen im Mittelpunkt. Dazu gehört natürlich auch der Gedanke, dass auch unser Leben vergänglich ist.

Da es den Menschen nicht gelungen ist, den Tod abzuschaffen, haben sie beschlossen, nicht mehr an ihn zu denken. Blaise Pascal

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Der Tod mitten im Leben

Wenn wir doch einmal über Vergänglichkeit nachdenken, dann denken wir natürlich zuerst an Sterben, Tod und Trauer. Das ist vollkommen richtig, weil angesichts dieser Tatsachen kein Ausweichen mehr möglich ist. Wenn in unserem Umfeld ein Mensch im Sterben liegt oder gestorben ist und wir trauern, dann sind wir existentiell betroffen.

Mir ist aber ganz wichtig, dass Vergänglichkeit nicht nur mit Sterben, Tod und Trauer zusammenhängt, sondern unser ganzes Leben davon betroffen ist. Es betrifft uns mitten im Leben. Was meine ich damit?

Im Grunde ist jede Nachricht von Krieg, Terror und Gewalt in unserer Welt ein Bote der Vergänglichkeit, aber auch in dieser Hinsicht sind wir Meister im Verdrängen. Das geschieht ja fern von uns und kommt nur über die Bildschirme ins Wohnzimmer. Nur, wenn in Halle ein Anschlag passiert, dann sind wir plötzlich ganz überrascht. Dann geht es uns an.

Deshalb ist die Bitte um Frieden ein Bestandteil der Themen am Ende des Kirchenjahres. Als Wochenspruch am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres und im Zusammenhang mit dem Volkstrauertag am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres.

In unserem eigenen Leben ist doch jede Krankheit, egal ob ein Schnupfen oder Krebs, eine Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit. Jeder Abschied, jede Verlusterfahrung sagt uns: Alles geht einmal vorbei. Alles ist vergänglich.

Vergänglichkeit in der christlichen Tradition

Das hat schon der “Prediger” im Alten Testament gewusst und er hat sich diesem Wissen gestellt. Dort heißt es in der Übersetzung von Martin Luther: Alles ist eitel! (Prediger 1, 2) Im hebräischen Urtext heißt es wörtlich: Es ist alles Windhauch.

In den Psalmen wird auch darauf hingewiesen, dass es klug ist, sich dieser Erkenntnis auszusetzen: Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. (Psalm 90, 12)

Der berühmte lateinische Satz aus dem Mönchtum “Memento mori” bezieht sich darauf. “Sei dir der Sterblichkeit bewusst!” Im Zusammenhang mit der Rede von dem “letzten Gericht” und dem “dies irae”, dem “Tag des Zorns” (denk an die entsprechenden Sätze im Requiem zum Beispiel von Mozart oder Verdi), macht es uns darauf aufmerksam, unser Leben so zu führen, als ob es morgen zuende sein könnte.

Bewusstsein der Vergänglichkeit

Ich möchte aber nicht Angst machen, sondern Zuversicht und Lebensmut. Bedenken wir also unsere Vergänglichkeit, was folgt dann daraus?

1. Vergänglichkeit schafft Zeit

Nur weil unser Leben begrenzt ist, haben wir ein Gefühl für Zeit. Sonst wäre alles gleichförmig, es wäre alles egal. So aber ist Zeit eine Gabe, ein Geschenk. Thomas Mann sagte einmal:
„Sie werden überrascht sein, mich auf Ihre Frage, woran ich glaube oder was ich am höchsten stelle, antworten zu hören: es ist die Vergänglichkeit. – Aber die Vergänglichkeit ist etwas sehr Trauriges, werden Sie antworten. – Nein, erwidere ich, sie ist die Seele des Seins, sie ist das, was allem Leben Wert, Würde und Interesse verleiht, denn sie schafft Zeit, – und Zeit ist, wenigstens potentiell, die höchste, nutzbarste Gabe.“ (gelesen hier…)

2. Vergänglichkeit gibt dem Leben Würde

Vielleicht wendet jemand ein, dass der Tod doch das Leben vernichtet und damit entwertet. Ich sehe das ganz anders. Durch die Vergänglichkeit bekommt jeder Augenblick des Lebens einen unendlichen Wert. Ja, das Leben selbst wird dadurch so wertvoll, dass es nicht wiederholbar ist. Es ist einzigartig, weil es vergänglich ist. Diesen Wert, diese Würde, diese Einzigartigkeit hat jedes Leben! Deins, meins, das eines jeden einzelnen Menschen!

3. Vergänglichkeit macht achtsam

Carpe diem, nutze den Tag, so sagt ein bekanntes Sprichwort. Mir geht es dabei aber nicht darum, möglichst viel in den Tag hineinzuquetschen. Es geht nicht um Quantität, sondern um Qualität. Fülle Deinen Tag mit wertvollen Worten und Taten.
Wie oft höre ich, das jemand sagt: Wenn ich erst dies oder jenes hinter mir habe, dann kann ich endlich… Hören wir doch damit auf, unser eigentliches Leben immer nur zu verschieben. Es gibt ein “zu spät”. Unser Leben ist vergänglich, also lass es uns heute leben!

4. Vergänglichkeit des Leids

Eine Leserin meines Blog hat mich kürzlich darauf aufmerksam gemacht: Auch der Schmerz und das Leid sind vergänglich. Oft gibt es im Leben Situationen, die uns schmerzlich bewusst machen, dass alles vergänglich ist. Der Verlust eines geliebten Menschen durch den Tod, das Ende einer Beziehung, persönliche Verluste und Durststrecken, können uns Trauer und Schmerz bringen. Doch auch dieser Schmerz kann vergehen. Meine Leserin schreibt: “Doch wenn du Glück hast, siehst du anstelle des Verlustes plötzlich neue Erlebnisse, neue Menschen, eine ganz neue Dimension und empfindest: Sogar der Schmerz der Vergänglichkeit ist vergänglich. Auf einer neuen Stufe fängst du neu an.”

Ein Lob der Vergänglichkeit! Denn sie ist es, die uns heute noch anfangen lässt, so zu leben, wie wir am Ende einmal gelebt haben möchten. Dietrich Heyde

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Weiterdenken

Diese letzten vier Gedanken machen mir Mut, mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Dieses Thema des Monats “Vergänglichkeit” ist sicher nicht einfach, aber verheißungsvoll. Ich hoffe, Du denkst auch mit mir weiter und liest auch in den nächsten Wochen wieder mit.

Eines habe ich mir jedenfalls fest vorgenommen: Ich möchte diesem Thema nicht ausweichen. Auch wenn jetzt schon wieder so vieles auf Weihnachten ausgerichtet ist – in Werbung, Geschäften, Öffentlichkeit. Advent ist im Dezember – und wird dann sicher mein Monatsthema bestimmen, aber jetzt ist November. Das Kirchenjahr ist noch nicht zu Ende und will gelebt und erfahren werden.

Vielleicht gehe ich auch am nächsten Sonntag, dem Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres, auch nochmal zu einer Volkstrauertagsfeier. Auch das gehört dazu. Heute meinen ja einige Ewiggestrige, so einiges aus der Geschichte unseres Landes sei “ein Fliegenschiss”. Ich bin ganz und gar anderer Meinung! Auch die Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft gehört hierher – und wie gut, dass auch das vergangen ist und hoffentlich nie wieder kommt. Wehret den Anfängen!

Links

https://de.wikipedia.org/wiki/Memento_mori
https://de.wikipedia.org/wiki/Vanitas
https://de.wikipedia.org/wiki/Sic_transit_gloria_mundi
https://rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/feiertag/vom-lob-der-vergaenglichkeit-7509
https://www.zeit.de/2014/38/vergaenglichkeit-tod-schulz-von-thun-poerksen
http://www.theologie.uzh.ch/predigten/archiv-5/and-mb-1.html
https://uwe-hermann.net/predigt-prediger-9-7-10/

Ich wünsche Dir eine fröhliche Woche, nicht trotz, sondern gerade mit dem Nachdenken über die Vergänglichkeit!

Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe

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