Predigt 4. Sonntag vor der Passionszeit Jesaja 51,9-16
Predigt 4. Sonntag vor der Passionszeit Jesaja 51,9-16 von Pfr. Uwe Hermann, Perikopenreihe III, Thema: Schläft Gott? Gehalten im Gottesdienst am 09.02.2025 in Manderbach
Sonn-/Feiertag: 4. Sonntag vor der Passionszeit
Perikopenreihe: III
Predigttext Jesaja 51,9-16
9 Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN! Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat?
10 Warst du es nicht, der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Tiefe, der den Grund des Meeres zum Wege machte, dass die Erlösten hindurchgingen?
11 So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.
12 Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen,
13 und vergisst den HERRN, der dich gemacht hat, der den Himmel ausgebreitet und die Erde gegründet hat, und fürchtest dich ständig den ganzen Tag vor dem Grimm des Bedrängers, der darauf aus ist, dich zu verderben? Wo ist denn der Grimm des Bedrängers?
14 Der Gefangene wird eilends losgegeben, dass er nicht sterbe und begraben werde und dass er keinen Mangel an Brot habe.
15 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das Meer erregt, dass seine Wellen wüten – sein Name heißt HERR Zebaoth –;
16 ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen, auf dass ich den Himmel von Neuem ausbreite und die Erde gründe und zu Zion spreche: Du bist mein Volk.
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Predigt 4. Sonntag vor der Passionszeit Jesaja 51,9-16
Gute Worte
Liebe Gemeinde!
In unserer Zeit gibt es eine Flut von Zeitschriften, Zeitungen, Büchern Broschüren und so weiter. Stellen wir uns einmal vor, wir hätten darüber zu entscheiden, was davon auf jeden Fall künftigen Generationen erhalten bleiben soll. Welche Auswahl würden wir treffen? Stellen wir uns vor, wir hätten keine große Bibliothek, sondern nur einen kleinen Behälter zu füllen.
Was an Literatur unserer Zeit dürfte in diesem Behälter nicht fehlen? Eine Ausgabe einer Zeitung? Vielleicht ein Börsenbericht? Die Konfirmanden hätten vielleicht gerne einen Text von Lady Gaga dabei. Ein anderer einen Roman von Thomas Mann oder von Donna Leon? Vielleicht sollte ein Werbetext dabei sein, oder unser Grundgesetz?
Es ist schwer zu sagen, welche Worte unseren Nachkommen einmal helfen könnten. Ich weiß selbst manchmal nicht zu sagen, welche Worte ich zum Leben brauche. Aber immer wieder geschieht es, dass ich Worte finde, die mich berühren, die mich aufrütteln oder trösten, die mich ein Stück meines Lebens begleiten.
„Manche Worte strahlen“ heißt es in einem Gedicht und von diesen strahlenden Worten wird dann gesagt: „Ich hole ihr verborgenes Licht und lege es in mein umdunkeltes Herz. So lebt es sich leichter. Den Text, den wir heute miteinander lesen und bedenken, stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christus und wurde von vielen Generationen vor uns für so wertvoll erachtet, dass er bis heute weitergegeben wurde und wir ihn lesen können.
Klage
Es ist ein Text aus dem Buch Jesaja aus dem 51. Kapitel: Jes 51,9-16
Sind dies strahlende Worte und lebt es sich leichter, wenn wir sie in unser Herz nehmen? Beim ersten lesen erschien mir dieser Text eher fremd und viel zu schwierig, als dass er für mich zum strahlenden Wort werden könnte. Prüfen wir den Text und versuchen herauszufinden, ob er hilfreich sein kann.
Der Anfang dieses Textes ist ein Gebet. Es richtet einen dringenden Aufruf an Gott: Wach auf, wach auf, zieh Macht an du Arm des Herrn. Dieses Gebet ist bewegt von der Frage: Gott, warum schweigst du? Bist du schwach? Schläfst du? Warum machst du dich nicht auf uns zu helfen?
Viele Menschen in den zweieinhalb Jahrtausenden seit der Entstehung dieses Textes haben so gefragt, auch heute tun sie es immer wieder. Auch Christen können so fragen, wenn sie in schwere Lebenssituationen kommen, wenn sie leidvolle Erfahrungen machen. Auch das Volk Israel war in einer solchen Situation. Das Land war erobert worden, die Hauptstadt Jerusalem zerstört und viele aus dem Volk waren in ein fremdes Land verschleppt worden, in dem sie in Unfreiheit lebten.
Trotz alledem; ist es erlaubt so mit Gott zu reden? Wach auf, wach auf, Gott! Unser Text tut es. Der Prophet gibt dem Volk Gelegenheit zur Klage und Anrufung Gottes. Sie sollen ihren Kummer nicht in sich hineinfressen. Sie sollen sich auch im Elend nicht einrichten, sondern aussprechen, was sie bedrückt. Sie sollen sich erinnern an die großen Taten Gottes, an das, was er für sein Volk getan hat. Gegen die Gefahr des Vergessens klagt der Prophet an und legt den Gefangenen diesen Weckruf in den Mund, damit Gott aufwacht und eingreift, bevor sich das Volk innerlich auflöst und sich von seinem schweigenden Gott abwendet.
Chaosdrachen
In seiner Klage erinnert der Prophet sich und das Volk an Gottes Handeln in der Schöpfung. Er tut dies mit uralten Vorstellungen des Kampfes Gottes mit den Chaosdrachen. Er nennt die Namen (im Hebräischen): Rahab, Tannin, Jam und Tehom rabbah. Damit werden Kräfte bezeichnet, die Gottes schöpferisches Handeln zunichte machen wollen. Gott hat sich zu Anbeginn der Welt durchgesetzt, er hat die Erde und alles was darinnen ist wohlgeordnet. Er hat sie als Lebensgrundlage geschaffen, in der wir leben können.
Heute erscheint es uns, als wollten sich die alten Drachen wieder erheben. Rahab, Tannin, Jam und Tehom rabbah benennen wir heute vielleicht mit anderen Namen: Baumsterben, Ozonloch, Erdbeben und Flutkatastrophen, Klimawandel. Wir erleben uns als hilflos dem ausgeliefert. Wir haben sicher alle die Bilder von der großen Fluten oder Feuersbrünsten noch vor Augen, die immer wieder durchs Fernsehen und die Zeitungen gingen. Wie wenig können wir tun. Warum tut Gott nichts?
Trägt uns die Erinnerung an Gottes Schöpfungshandeln in einer solchen Situation noch? Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen Tannin durchbohrt hat? Warst du es nicht, der das Meer Jam austrocknete, die Wasser der großen Tiefe, Tehom rabbah, der den Grund des Meeres zum Wege machte, dass die Erlösten hindurchgingen? Daran musst du dich erinnern, Gott.
Neue Hoffnung
Diese ersten beiden Verse unseres Textes bleiben anscheinend bei der Klage, beim verzweifelnden Anrufen Gottes. Haben sie uns weitergebracht? Der Prophet jedenfalls hat zumindest die Hoffnung auf ein Eingreifen Gottes gewonnen. Noch schweigt Gott, aber der Beter ist sich sicher: So werden die Erlösten des Herrn heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.
Liebe Gemeinde, wir müssen hier genau darauf achten, was gesagt wird. Es ist nicht etwa so, dass durch das Gebet die Trauer und das Seufzen bereits gewichen sind. Aber in der Erinnerung an Gottes Macht und sein früheres Tun, können wir inmitten einer schweren Zeit die Hoffnung gewinnen, dass Gott uns nicht verlässt, dass es eine Zeit geben wird, in der er die Tränen abwischen wird und in der wir uns wieder freuen können. Diese Worte waren für die Menschen, die sie weitergegeben haben strahlende Worte. Diese Worte waren da in ihrem Inneren. Sie leuchteten und taten dem von Trauer und Seufzen und Zweifel umdunkelten Herzen gut.
Gott wacht auf
Im zweiten großen Abschnitt unseres Textes endlich bricht Gott sein Schweigen. Jetzt ist er aufgewacht und redet. Feierlich beginnt diese Rede mit einem zweifachen ich. Ich, ich bin euer Tröster! Das erlösende Wort Gottes kann nicht direkter und klarer ausgesprochen werden. Und jetzt fragt Gott die Menschen, damals das Volk Israel in der Gefangenschaft: Warum fürchtest du dich vor Menschen, die doch vergänglich sind. Warum hast du mich vergessen, der ich dich gemacht habe? Wo ist jetzt der Grimm deines Bedrängers?
Diese Fragen sollen uns nicht überheblich oder verächtlich machen gegenüber anderen Menschen. Solange wir in Angst und Zweifel, in Trauer und Seufzen sind, ist diese Gefahr sicher nicht da. Aber sie können uns die Begrenztheit des Menschen und menschlicher Macht klarmachen. Jenseits dieser Grenze bleibt Gott für uns da, schenkt uns seinen Trost und ermöglicht neues Leben. Wenn wir meinen, wir seien am Ende, dann weiß Gott doch einen neuen Anfang.
Viele von uns fühlen sich gefangen, wie damals das Volk Israel, zwar in unsichtbaren Mauern, aber trotzdem ohne Aussicht auf Befreiung und Lösung der Fesseln: wenn wir vergeblich nach dem Sinn unseres Lebens suchen oder auch nach dem Sinn des Sterbens eines geliebten Menschen. Wenn wir im Gespräch miteinander Unverständnis oder sogar Feindseligkeit erleben, wenn Junge die Alten oder Alte die Jungen nicht mehr verstehen. Wenn Ehepartner sich nicht mehr gemeinsam auf den Weg machen können. Dann geht es uns ähnlich, wie den Menschen, die die Predigt des Propheten vor 2500 Jahren hörten: Zunächst noch mit Unverständnis und Staunen über die Kraft seiner Hoffnung, seiner Hoffnung auf die Zusage Gottes: Ich, ich bin euer Tröster.
Gott tröstet
Wenn man sich dann aber auf die Fragen Gottes einlässt, wenn man seiner Zusage glaubt, auch gegen den Augenschein, dann hört man die Worte mit wachsender Erwartung auf Gottes befreiendes Handeln. Dann kann die Hoffnung wachsen, dass der Gefangene eilends losgegeben wird, dass er nicht sterbe und begraben werde und dass er keinen Mangel an Brot habe, wie unser Text es ausdrückt. Dann kann hier die Freude Platz greifen und den Menschen ihre Lebensangst nehmen, weil Gott zu einem neuen Anfang bereit ist.
Wir feiern heute den 4. Sonntag vor der Passionszeit und damit stehen wir zwischen dem Abschnitts des Kirchenjahres, der mit Advent begann und zu dem Weihnachten und das Epiphaniasfest gehören und der Passionszeit, die auf Ostern zuläuft. In der Adventszeit haben wir die Worte „tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott“ gehört und jetzt hören wir, dass Gott selbst der Tröster seines Volkes sein will.
An Weihnachten verkündigte der Engel den Hirten: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren.“ An Weihnachten hat Gott einen neuen Anfang mit seiner Welt und den Menschen gewagt, indem er selbst ein Mensch wurde. Und Gott will uns zu seinen Kindern haben. In der Passion und im Tod Jesu erkennen wir Gott, der in den tiefsten Tiefen menschlichen Lebens mit dabei ist. Schließlich gibt uns die frohe Botschaft von der Auferstehung an Ostern neue Hoffnung – für uns, unsere Welt und in alle Ewigkeit.
Und so endet unser Predigttext mit der Zusage Gottes: Denn ich bin der Herr, dein Gott, der das Meer erregt, dass seine Wellen wüten, ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen, auf dass ich den Himmel von neuem ausbreite und die Erde gründe und zu euch spreche: Du bist mein Volk.
Wir sind jetzt den ganzen Text entlang gegangen und ich hoffe, die Worte sind für uns zu strahlenden Worten geworden. Dieser so fremde Text ist so geprägt von Lebenserfahrungen, dass jede und jeder von uns seine eigene Geschichte darin wiederfinden kann: Angst und Hoffnung, Kummer und Freude, Betrübnis und neues Zutrauen. Vielleicht kann manche und mancher von Euch jetzt über diese Worte sagen: „Manche Worte strahlen. Ich hole ihr verborgenes Licht und lege es in mein umdunkeltes Herz. So lebt es sich leichter.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe