Zwischen den Kirchenjahren
Ich werde immer wieder mal gefragt: Wann beginnt das Kirchenjahr? Die einfache Antwort ist: am 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Bei genauerem Hinsehen ist es aber doch wieder nicht ganz so einfach. Hast du Lust, mal etwas genauer hinzuschauen?
Wir sind so sehr daran gewöhnt, unsere Wochen in die Arbeitswoche und das Wochenende einzuteilen. Geht es dir auch so, dass du das Gefühl hast, der Sonntag ist der letzte Tag der Woche? In der Kirche ist das aber anders. Der Sonntag ist der erste Tag der Woche.
Diese Tradition ist uralt und stammt aus der jüdischen Religion. Dort ist der Samstag der arbeitsfreie letzte Tag der Woche. Weil die ersten Christen ursprünglich Juden waren, war der Tag der Auferstehung Jesu (der Sonntag) für sie der erste Tag der Woche.
Kirchlich sind wir also heute noch in der Woche des Totensonntags. Liturgisch stehen in dieser Woche nach dem Totensonntag also noch die Texte des vergangenen Sonntags im Mittelpunkt.
Erst am kommenden Sonntag ist der 1. Advent und damit beginnt die Adventszeit und eben das neue Kirchenjahr.
Auch wenn jetzt also noch die Woche des Totensonntags ist, die zum alten Kirchenjahr gehört, empfinde ich diese Woche sozusagen als eine Zeit „zwischen den Jahren“ – sozusagen „zwischen den Kirchenjahren“.
Erinnerung und Erwartung
Vielleicht können wir in dieser Woche ja einen Bogen spannen? Einen Bogen von der..
- Erinnerung an unsere Verstorbenen…
- Erinnerung an das, was dieses Jahr ausgemacht hat bisher…
- Erinnerung auch an all das Schwere in unserem Leben…
- Erinnerung auch an das Problematische in „Volk und Land“ (Volkstrauertag).
Vielleicht können wir in dieser Woche ja einen Bogen spannen? Einen Bogen hin zu…
- unseren Hoffnungen…
- Träumen und Wünschen…
- einer glücklichen Zukunft…
- dem, was unser Leben gut und schön macht.
Vielleicht ist dieser Bogen, die Erkenntnis, dass beides zu unserem Leben und in unsere Welt gehört – Freud und Leid, Vergangenheit und Zukunft. Vielleicht ist es eine ganz besondere Weisheit, die uns diese Woche „zwischen den Kirchenjahren“ geben kann?
Was tun wir jetzt in diesen Tagen?
Zwischen den Kirchenjahren ist das Heute. Zwischen Vergangenheit und Zukunft ist die Gegenwart. Wir müssen heute die Erinnerungen nicht verdrängen. Sie gehören zu uns und haben uns geprägt.
Doch wir beginnen ja jetzt damit das Haus, die Wohnung klar zu machen, zu schmücken. Erste Vorbereitungen auf die Adventszeit, vielleicht schon Plätzchen backen etc.
Sehen wir darin ein Symbol für das ganze Leben. Es kann erfülltes und sinnvolles Leben sein, zu dem beides untrennbar, ja manchmal vermischt, gehört – Freud und Leid, Erinnerung und Hoffnung…
Schau Dir doch auch mal meinen Beitrag über Rituale im Kirchenjahr an.
Kopf hoch – schaut euch in die Augen!
Ich möchte hier schon kurz vorausblicken auf den Wochenspruch zum 2. Advent: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. (Lk 21, 28b). Ist das nicht wunderbar?
Jetzt beginnt ein neues Kirchenjahr und wir dürfen hoch erhobenen Hauptes fröhlich in die nächsten Tage, Wochen, Monate blicken. Ich habe zu diesem Spruch einen eigenen Artikel geschrieben: Wochenspruch 2. Advent.
Vor einigen Jahren habe ich dazu folgenden Text gefunden. Ich finde das wunderschön und möchte versuchen, mir diese Einstellung zu eigen zu machen:
In Südafrika begrüßen die Zulus einander mit „Sawubona“. Das bedeutet: „Ich sehe dich“ oder „Ich nehme dich wahr“. Dann schütteln sie einander dreimal kurz die Hand. Schon von weitem rufen sie einander zu „Sawubona“: Ich sehe dich. Damit machen die Zulus deutlich, dass das Ansehen eines Menschen wortwörtlich vom An-Schauen kommt.
Andersherum ist jedes Nichtgrüßen eine Missachtung der Person. „Ein Mensch ist nur durch einen anderen Menschen ein Mensch“ – so lautet ein wichtiges südafrikanisches Sprichwort. Wir brauchen einander. Wir sind auf den Gruß, die Wahrnehmung, die Achtung anderer angewiesen, um selbst Mensch zu werden und Mensch zu bleiben.
Aus: Bittgottesdienst für den Frieden in der Welt – EKD (Download)
Noch einmal: Wann beginnt das Kirchenjahr? Es beginnt am 1. Advent, aber vielleicht beginnt alles im Leben immer damit, dass wir uns aufrichten, den Kopf heben und mit offenen Augen in die Welt schauen, voller Zuversicht und Hoffnung. Das Schönste, was wir dabei entdecken können, sind die offenen Augen der anderen Menschen, die uns freundlich anschauen.
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe
PS: Ach ja, natürlich darfst du auch gerne hier bei mir immer mal wieder reinschauen. Damit du nichts verpasst, kannst du gerne meinen Newsletter abonnieren: