Ich liebe es, in Liebenscheid zu wohnen. Tolles Wortspiel, oder? Ich möchte euch ein wenig von meinem Nordic-Walking letzte Woche erzählen.
Auf der Straße am alten Liebenscheider Friedhof vorbei grüßt mich die tiefstehende Sonne mit strahlender Klarheit. Die Luft ist wunderbar kalt und klar. Es hat gefroren heute Nacht. Der Raureif glitzert noch weiß auf dem Gras, wo die Sonne ihre Kraft noch nicht verschwenden konnte.
Der alte Friedhof ist umgeben von einer Bruchsteinmauer, teilweise zerfallen. Jahrzehnte alte Bäume stehen auf dem Gelände, das als Friedhof nur noch zu erahnen ist. Das Denkmal für die im Krieg Gefallenen deutet aber noch darauf hin.
Ein paar Schritte weiter, und die Sonne tritt hinter einen Baum. Goldene, gelbe, orangene, rote und hier und da noch ein einzelnes grünes Blatt des Baumes werden von der Sonne durchdrungen und werfen ein farbenprächtiges Lichtspiel auf mein Gesicht.
Auf einer Weide grasen braune Kühe. Eine Kuh ist weiß und grau gescheckt, mit einem schwarzen Kopf. Hab ich hier in der Gegend noch nie gesehen. Graue Kühe? Süß: Sie rieb sich mit einer anderen Kuh den Kopf. Das sah richtig liebevoll aus. Der mächtige braune Bulle hebt seinen Kopf mit dem weißen Streifen auf Stirn und Nase und schaut mich an. Nach einer Weile – keine Gefahr durch diesen einsamen Wanderer – senkt er den Kopf und grast weiter. In aller Ruhe und Majestät, seiner selbst und seiner Stellung in der Herde offenbar vollkommen bewusst.
Ein kleines Wäldchen und eine Wiese weiter springen plötzlich drei Rehe übers Feld. Wunderschön im frühen Sonnenlicht. Sie schauen sich um, springen weiter und verschwinden im nächstgelegenen Gestrüpp.
Der Weg geht mitten durch eine Schutzhecke, auf beiden Seiten ein paar Baumreihen, meist Laubbäume, manchmal aber auch Fichten. Diese Schutzhecken wurden auf dem Hohen Westerwald vor fast 200 Jahren durch Wilhelm Albrecht angelegt, dessen Denkmal in Emmerichenhain steht, um den Boden vor Erosion durch den Wind zu schützen.
Interessant: Mir fällt auf, dass der Weg und die Bäume auf einer deutlich wahrnehmbaren „Welle“ im Boden etwas höher liegen, als die Wiesen auf beiden Seiten. Nach Liebenscheid hin fällt das Gelände nur wenig ab, der Boden ist auch nur etwas tiefer. Nach der Dresselndorfer Seite zum Hickengrund hin ist es deutlich mehr. Allerdings fällt auch das Gelände deutlich steiler ab. Die Hicken wohnen eben im Tal.
Hat Wilhelm Albrecht diese Schutzhecke angelegt? Keine Ahnung. Vielleicht aber ist die Erhöhung, diese „Welle“, darauf zurück zu führen, dass im Laufe der Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte die Bauern immer wieder Steine und Felsen von Äckern und Wiesen aufgesammelt und zwischen die Bäume geworfen haben. Andererseits wurde wohl durch Ackerbau und das Weidevieh, durch Wind, Frost und Regen etwas von dem Mutterboden der Weiden und Äcker abgetragen. Dadurch entsteht – nicht wahrnehmbar in einem Menschenleben, aber spürbar durch die Jahrhunderte – der Höhenunterschied. Vielleicht gibt es ja ein Mitglied des Westerwaldvereins unter den Lesern, der mir das genauer erklären kann.
Viele schöne Wanderwege führen durch und um Liebenscheid und um Liebenscheid herum: Rothaarsteig, Westerwaldsteig, Missionswanderweg und viele regionale Wander- und Radwege. Es lohnt sich für Wanderer und Radfahrer sich das mal anzuschauen.
Einige Vögel ziehen zwitschernd über den Wald, in der Ferne kreist ein Bussard und sucht nach Beute. Ich versuche verschiedene Vogelstimmen zu unterscheiden. Leider kenne ich mich nicht so gut aus, aber immerhin kann ich vier oder fünf verschiedene Arten von Gezwitscher erkennen.
Die letzten Blüten-Boten des Sommers fallen mir am Wegesrand auf. Immerhin habe ich ein paar vereinzelte Blüten gesehen. Blaue Kornblume, gelbes Windröschen, violetten Klee, weiße Taubnessel, rosa vierblättriges Wiesen-Schaumkraut, rosa fünfblättriges Tausendgüldenkraut, lila Wiesensalbei, ein gelber Löwenzahn, weißer Giersch… Vielleicht habe ich nicht jede Art richtig bestimmt. Ich bin da nicht so gut drin. Aber ich habe mich gewundert darüber, wie viele verschiedene Blumen jetzt tatsächlich noch blühen, obwohl es schon einige Nächte gefroren hat.
Auf dem Weg zurück nach Liebenscheid geht mein Blick über die Weiten und Hügel des Hohen Westerwalds in der noch immer tiefstehenden Morgensonne. Es ist ein wunderschönes Stückchen Erde. Mich stören auch die Windräder nicht, sie verheißen doch immerhin sauberen Strom. Auch das Geräusch der Flugzeuge, die vom nahegelegenen Siegerlandflughafen ab und zu starten, ist doch kein Problem. Sie geben mir das Gefühl der Verbindung zur großen weiten Welt. Genießen wir hier doch die Natur, die Ruhe und Vorzüge des Landlebens und wissen, dass es da draußen auch noch die ganze Welt gibt, die auf uns wartet.
Lechajim – für das Leben!
Liebe Grüße und bleib von Gott behütet!
Uwe